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Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Thema EU

Bielefeld (ots)

Die Europäische Union ist aus ihrer Lethargie
erwacht. Stillstand und Resignation nach dem Scheitern der 
EU-Verfassung in Frankreich und in den Niederlanden sind 
Vergangenheit. Kanzlerin Angela Merkel darf sich zurechnen, während 
ihrer EU-Ratspräsidentschaft maßgeblich dazu beigetragen zu haben.
Mit Nicolas Sarkozy und George Brown stehen in Frankreich und 
Großbritannien zwei Männer in den Startlöchern, die Angela Merkel zum
Ende ihrer Präsidentschaft dabei helfen werden, der EU per Verfassung
eine neue Handlungsgrundlage zu geben: Damit soll die politische 
Funktionsfähigkeit der 27-Staaten-Union in der Zukunft gesichert 
werden. Zumindest einen Fahrplan für die Verabschiedung einer 
Verfassung will die Kanzlerin beim EU-Gipfel in der kommenden Woche 
erreichen. Gelingt es nicht, wäre dies ein schwerwiegender Rückschlag
für das weitere Zusammenwachsen Europas. Eine Mehrheit der EU-Staaten
hat bereits klargestellt, dass eine Erweiterung der EU etwa durch 
Serbien oder Kroatien ohne eine neue Verfassung für sie nicht in 
Frage kommt.
Den schwersten Brocken auf dem Weg zu einer Verfassung hat Angela 
Merkel fast direkt vor der Haustür. Das Polen der Kaczynski-Zwillinge
fordert eine stärkere Position des Landes in der EU und will den 
Einfluss des großen Nachbarn Deutschland schwächen. Danach soll in 
der Verfassung verankert werden, das künftig nicht die Einwohnerzahl 
die Stimmgewichtung eines Landes bestimmt, sondern die Quadratwurzel 
aus dieser Zahl. Dies würde Polen in der EU stärken, der Einfluss des
westlichen Nachbern schwächen. Polen steht mit dieser Forderung in 
der EU völlig allein da. Aber ein Nein der polnischen Regierung zum 
Fahrplan bis zum Ziel Verfassung könnte alles blockieren.
Die Haltung gegenüber einem starken Deutschland lässt sich aus der 
leidvollen Geschichte Polens erklären. Die Teilungen des Landes im 
18. Jahrhundert und die deutsche Besatzung im Zweiten Weltkrieg sind 
Ereignisse, die sich tief in die Erinnerungen dieses Volkes 
eingegraben haben.
 Die Polen wollen endlich als gleichwertiger Partner anerkannt 
werden. Dieses tief sitzende Misstrauen abzubauen, ist nicht nur 
Aufgabe einer deutschen Regierung, sondern auch der anderen Partner 
in der EU. So hat Frankreichs Staatspräsident Sarkozy die 
Kaczynski-Zwillinge davor gewarnt, nationale Interessen über 
europäische Interessen zu stellen.
 Ohne Kompromisse gäbe es kein vereintes Europa. Polen ist Nutznießer
der Union. Das Land ist größter Nettoempfänger in der EU und kassiert
jedes Jahr Milliarden aus Brüssel. Deutsche Regierungen haben seit 
dem Sieg der Demokratie in Polen maßgeblich dazu beigetragen, dem 
Land den Weg in die Union zu ebnen.
 Dass Staatspräsident Lech Kaczynski jetzt auf eine Kompromisslinie 
einschwenkt, zeigt, dass die Warschauer Führung die 
Kräfteverhältnisse in der EU wieder realistisch einschätzt. Ein 
seriöser Kompromiss würde die Stellung Polens stärken, nicht 
schwächen.

Pressekontakt:

Rückfragen bitte an:
Westfalen-Blatt
Nachrichtenleiter
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 - 585261

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