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Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Sarkozy

Bielefeld (ots)

Die Freude über die Freilassung der bulgarischen
Krankenschwestern und des palästinensischen Arztes ist groß - der 
Ärger auch. Denn dieser Ärger ist ein Politikum, da geht es um das 
Verdienst an dieser Befreiung und das beansprucht ein Mann nahezu für
sich allein: Nicolas Sarkozy. Und das ist problematisch.
Gewiss, mit Goethe könnte man sagen: Ohne ein bisschen 
Selbstüberschätzung würde man nichts zustande bringen in diesem 
Leben. Aber die Eitelkeit und permanente Suche nach dem 
Scheinwerferlicht der Kameras ist Nebensache. Ernster zu nehmen ist 
der politische Antrieb, der sich hinter dieser Haltung verbirgt. Wer 
glaubt, immer der Erste sein zu müssen, der hat von Europa nicht viel
verstanden. Europa ist eine Gemeinschaftsaufgabe.
Kein Staat in Europa kann den Kontinent allein aus der Lethargie 
holen, in die ihn nationaler Egoismus und eine Erweiterungspolitik 
ohne Vertiefung der Gemeinsamkeit geführt haben. Aber jeder einzelne 
Staat kann alles blockieren. Man hat das an den Polen gesehen, selbst
Zypern hat es schon probiert und in den sechziger Jahren auch mal 
Frankreich mit der Politik des leeren Stuhls.
Heute probiert es Frankreich mit der Politik zwischen allen Stühlen. 
Denn die Freunde in Berlin, London, Madrid, Rom und anderswo werden 
sich diese Art von medialem Bonapartismus nicht lange gefallen 
lassen. An der Befreiung aus den libyschen Fängen waren viele 
beteiligt. Nicht zuletzt die Deutschen während der 
EU-Ratspräsidentschaft, sie haben stille Kärrnerarbeit geleistet. Das
macht den Ärger verständlich, wenn jemand auf einen fahrenden Zug 
springt und dann so tut, als hätte er allein die Kohlen aus dem 
Tender unter den Kessel geschaufelt.
Der Ärger bleibt verhalten. Man gönnt dem Neuen, das ist 
diplomatischer Brauch, die hundert Tage relativer Narrenfreiheit. 
Apropos: Napoleon blieb hundert Tage auf Elba, dann zog er unter dem 
begeisterten Applaus der Straße - der damaligen öffentlichen Meinung 
- gegen die Verbündeten und erlebte eine böse Niederlage.
In Frankreich wird Sarkozy für den libyschen Coup gefeiert. Das war 
das Ziel. Der Vorsitzende der Sozialisten im Europa-Parlament, Martin
Schulz, nennt die Dynamik des Präsidenten »Themenhüpferei« und 
glaubt, dass der Lack bald abblättern werde.
Das kann schon sein. Die Frage ist, wo der Lack früher abblättert. 
Die Haltung der Bundeskanzlerin scheint da effektiver zu sein: 
totlaufen lassen, aussitzen, argumentativ bleiben. Damit hat sie im 
vergangenen halben Jahr gute Erfolge erzielt. Schließlich zieht 
Sarkozy mit seiner Rambo-Politik des offenen Wortes nicht nur das 
Rampenlicht auf sich, sondern auch den Ärger von Politikern, mit 
denen man sich dann nicht mehr anlegen muss, zum Beispiel mit dem 
Türken Erdogan oder, näher liegend, mit den Genossen Beck, Steinmeier
und Co.
Das ist auch eine Art Gemeinschaftsleistung. Dafür lohnt es sich, 
Bescheidenheit zu üben. Das schont den Lack.

Pressekontakt:

Rückfragen bitte an:
Westfalen-Blatt
Nachrichtenleiter
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 - 585261

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