Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum SPD-Parteitag
Bielefeld (ots)
Die SPD verändert bei ihrem Bundesparteitag in Hamburg soeben ihre politische Verortung - ohne recht zu merken, welche Falle sie sich dabei selbst stellt. Mehr als 95 Prozent Zustimmung für Kurt Beck als SPD-Bundesvorsitzenden, achtbare Ergebnisse für seine Stellvertreter und die neue Bundesschatzmeisterin aus NRW: Man könnte meinen, den gehörigen Hauskrach mit Franz Müntefering habe es nie gegeben. Schon vergessen: Das Tischtuch war zerschnitten. Der sonst streng gegen sich selbst agierende Sauerländer machte aus seinem Herzen diesmal keine Mördergrube. Er ließ in Berlin streuen, was ihm an Beck nicht passt. Am Freitag noch - während quälend langer Passagen in der Rede Becks - ließ Münteferings steinharte Mimik klar erkennen, was der Franz über den Kurt wirklich denkt: Der kann es nicht richtig. Loyalität und Parteiräson sind Werte, die auch in anderen Parteien mitunter arg strapaziert werden. Deshalb muss das Abstimmungsergebnis bei den Vorstandswahlen auch als Fähigkeit der SPD zur Selbstdisziplin gewertet werden. Die Partei hat keine Alternative und schart sich um so entschiedener hinter ihren elften Vorsitzenden seit Kriegsende. Wenig Konkretes hat Beck zu seiner eigenen Politik im Detail gesagt, umso deutlicher war die Aussage, von einem Linksruck könne keine Rede sein. Das Gegenteil ist richtig und mitnichten hanebüchen. Der härteste Punkt an der von Schröder und Müntefering durchgesetzten Agenda-Politik ist in der Tat die relativ kurze Bezugszeit von Arbeitslosengeld I. Ganz klar, die ALG I-Verkürzung noch durch Rot-Grün hat etwas von sozialer Kälte und zugleich Erstaunliches gebracht. Nicht nur Neoliberale, auch ein Viertel der Sozialdemokraten glauben an einen Zusammenhang zwischen der Agenda-Poltik und dem seit Jahrzehnten erhofften deutlichen Rückgang der Arbeitslosigkeit - insbesondere bei älteren Arbeitnehmern. Dieser schöne Erfolg könnte jetzt verspielt werden. Nicht Arbeitslosigkeit finanzieren, sondern Beschäftigung fördern lautet die Devise. Mit diesem guten Argument kann nach diesem Parteitag die Union nunmehr auf Stimmenfang gehen - und zwar im Lager der SPD. Schon schielen die Strategen im Konrad-Adenauer-Haus auf die sogenannten Schröder-Clement-Wähler. Weil die SPD über die Maßen irritiert auf Hass-Gegner Oskar Lafontaine starrt, gibt sie in der politischen Mitte Raum frei. Angela Merkel kann sich freuen. Ihre kaum beklagte persönliche Sozialdemokratisierung macht sie immer mehr zum neuen Helmut Schmidt. Schon heute gilt sie in gemäßigt linksliberalen Kreisen als die richtige Frau - nur leider in der falschen Partei. Beck weiß darum. Indirekt räumt er das Problem sogar ein. Weshalb sonst feuerte er am Freitag dermaßen rhetorische Breitseiten auf Deutschlands beliebteste Frau ab? Außerhalb der SPD versteht das keiner.
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