Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Thema Tarifstreit im öffentlichen Dienst:
Bielefeld (ots)
4,0 Prozent, mindestens aber 85 Euro in ersten Jahr, weitere 2,5 Prozent 2009, bei insgesamt gleichbleibender Wochenarbeitszeit und Erhöhung des 13. Monatsgehalts vor allem für Beamte: So ungefähr oder vielleicht auch ganz anders könnte ein Kompromiss im aktuellen Tarifstreit des öffentlichen Dienstes aussehen. Doch Bundesregierung und Kommunen einerseits sowie die Verdi-Gewerkschaft und der Beamtenbund andererseits sind noch weit davon entfernt, schon um Zehntel-Lohnerhöhungen zu feilschen. Derzeit ist Rhetorik angesagt. Man ist weit auseinander, keine Annäherung erkennbar, eine harte Auseinandersetzung zu befürchten. Eben das ganz normale Ritual. Dabei wissen beide durchaus um die Nöte der anderen Seite. Die Beschäftigten in den Rathäusern, die Müllwerker und die Pfleger in kommunalen Krankenhäusern, die Lehrer und die Berufssoldaten haben nach mehreren Defacto-Null- oder sogar Minusrunden eine Lohnanhebung dringend nötig. Da unterscheiden sie sich nicht von großen Teilen der Privatwirtschaft und ganz allgemein der Inlandskonjunktur. Doch niemand kann einem nackten Staat in die Taschen greifen: Die Kassen sind - der florierenden Konjunktur zum Trotz - zum größten Teil leer. Man wird, wie immer, einen Kompromiss finden müssen. Schade wäre es, wenn der Weg dorthin wieder über Streiks führte. Offenbar brauchen die Menschen jedoch das Ritual. Man stelle sich nur vor, die Tarifparteien setzten sich schon an diesem (oder am nächsten) Wochenende zusammen und arbeiteten einen Kompromiss nach obigem Vorbild oder einem anderen Modell aus. Der Aufschrei wäre auf beiden Seiten riesig. Bei der bürgerlichen Opposition, weil die Regierung angeblich leichtfertig Steuergelder verschwende. Bei Beamten und Angestellten, weil die Gewerkschaften mutmaßlich ein besseres Ergebnis verschenkt hätten. Über kurz oder lang folgte mit Sicherheit der Hinweis auf die Lokführer: Die haben wirklich einen Anführer, der sich für sie einsetzt. Solche Reaktionen kann sich in Zeiten, da die Gewerkschaften personell immer weiter ausbluten, keine Arbeitnehmervertretung leisten. Bedenklich ist nur, dass das Ritual die Gesellschaft immer teurer kommt. Auf der Rechnung stehen die wirklichen Kosten für die Unternehmen und - als »Kollateralschaden« wie wiederum jüngst beim Lokführerstreik - für die Volkswirtschaft. Zudem treibt jeder Streik den Spaltpilz ein Stück weiter zwischen die Arbeitnehmer und ihre Arbeitgeber sowie zwischen Streikende und Streikbrecher. Vielleicht sollten die streitenden Parteien im öffentlichen Dienst deshalb das Unmögliche doch ein Mal wenigstens versuchen: eine schnelle Einigung ganz ohne Warn- und Tarifstreiks. Damit würden sie auch der Bahn und den Lokführern das positive Vorbild geben, dass diese dringend nötig haben. Hartmut Mehdorn und Manfred Schell haben sich in einer Weise auf ihren Gleisen festgefahren, dass man allmählich um das System der Tariffindung bangen muss.
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