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Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) kommentiert:

Bielefeld (ots)

Na bitte, geht doch! Auch ohne Franz Müntefering
löste der Koalitionsausschuss am Montagabend nach sechs Monaten Pause
Grundsatzfragen. Die große Koalition funktioniert.
Die Bahn geht in Teilen an die Börse, die Mitarbeiterbeteiligung ist 
fest verabredet, Mindestlohn wie Erbschaftssteuer sollen bis zum 
Sommer geregelt sein und der strikte Sparkurs geht weiter. Allein der
Gesundheitsfonds könnte die Koalitionäre noch kalt erwischen - als 
Strafe für faule Kompromisse in früheren Kanzlerrunden.
 Die Opposition beklagte gestern pflichtgemäß Handlungsunfähigkeit, 
Stillstand und sogar »Mikadopolitik« - nach dem Motto: Wer sich 
zuerst bewegt, hat verloren.
Falsch. Die große Koalition hat seit 2005 mehr bewegt und 
Substanzielleres zuwege gebracht, als Rot-Grün oder Schwarz-Gelb aus 
den meisten ihrer vielen Regierungsjahre vorweisen können. Das wird 
nicht gern zugegeben - nicht einmal von Union und SPD. Auch sie 
würden lieber in klassischer Formation gegeneinander antreten.
Damit ist allerdings noch nichts über die Qualität der in der langen 
Nacht zum Dienstag erzielten Kompromisse gesagt. So ist vom großen 
Ziel der Bahn-Privatisierung nur wenig geblieben. Erst der lange 
Streit in der SPD macht den Beschluss zum Durchbruch.
 Ob der Börsengang wirklich jene Milliardenbeträge bringt, die das 
Verkehrssystem Schiene dringend für seine Modernisierung benötigt, 
bleibt fraglich. Finanzminister Peer Steinbrück hofft auf fünf bis 
acht Milliarden Euro, andere wollen das Geld im Haushalt versickern 
lassen.
Dennoch: Die Weichenstellung ist richtig. Jede spätere Regierung ist 
so frei, den Privatanteil von 24,9 Prozent aufzustocken oder 
zurückzufahren. Der Wähler darf 2009 mitreden.
Gleichfalls ehrgeiziger waren anfangs die Absichten in Sachen 
Mitarbeiterbeteiligung. Aber auch hier ist eines der letzten größeren
Reformprojekte, das die Koalition auf ihrer Liste hat, in trockenen 
Tüchern. Die Gesetzesänderung kann beginnen, die arbeitende und 
Steuern zahlende Bevölkerung wird die neuen Freibeträge und 
Wahlgeschenke gerne nehmen.
Ob die Erbschaftssteuer wirklich noch ein Erfolg wird oder versauert,
bleibt unklar. Direkt betroffen sind nur wenige.
 Für populistische Sprüche besser zu gebrauchen ist das Thema 
Pendlerpauschale. Macht nichts, hier haben Deutschlands höchste 
Richter demnächst das letzte Wort. Nach dem höchstinstanzlichen 
Spruch müssen die Karten sowieso neu gemischt werden.
Bliebe noch die Rente: Dieses Thema wurde äußerst zaghaft angegangen.
Unlösbar, lautet die Zwischenbilanz. Das gilt insbesondere, nachdem 
Jürgen Rüttgers den Finger nicht nur an die Wunde gelegt, sondern 
ziemlich tief hineingebohrt hat.
Fazit: Die selten geschätzte hohe Kunst des Kompromisses hat 
Deutschland ein Jahr weitergebracht. Die große Koalition hält die 
volle Legislaturperiode durch - wenn nicht sogar länger.

Pressekontakt:

Westfalen-Blatt
Nachrichtenleiter
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 - 585261

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