Westfalen-Blatt: Das Westfalen-Blatt (Bielefeld) schreibt zum Tag der Deutschen Einheit:
Bielefeld (ots)
Die vereinte Bundesrepublik wird heute volljährig. Aber ist das Grund zur Freude, Grund zum Feiern gar? Können wir aus ganzem Herzen sagen: »Herzlichen Glückwunsch, Deutschland«? Mit feiner Regelmäßigkeit wird zum Tag der Deutschen Einheit der Grad der Deutschen Einheit geprüft. Und ebenso regelmäßig wird dabei das Kohl-Wort von »den blühenden Landschaften« in Erinnerung gerufen. Fakt ist, dass die längst nicht überall im Osten entstanden sind - jedenfalls nicht, wenn man darunter unbegrenzten Wohlstand für alle versteht, der ohne allzu große Anstrengung zustandekommt. Doch jenseits dieser Träumereien: Wie steht es um das vereinte Deutschland? »Gut«, möchte man sagen und daran erinnern, dass die Freiheit, die alle Bürger im Osten uneingeschränkt gewonnen haben, in der DDR gerade fehlte. Wer's nicht glaubt, dem sei der Oscar-gekrönte Film »Das Leben der Anderen« dringend empfohlen, den die ARD am Tag der Deutschen Einheit um 20.15 Uhr zeigt. Die friedliche Revolution der DDR-Bürger bleibt eine einmalige Leistung, die allen Bürgern der alten Bundesrepublik Respekt abnötigen sollte. Eine Leistung, für die die Bürger im Osten reich belohnt worden sind. Belohnt durch die Teilhabe an einer lebendigen Demokratie, die Meinungs- und Reisefreiheit garantiert, die ein Wahlrecht bietet, das diesen Namen verdient. Eine Demokratie, die sogar eine Partei wie die Linke aushält, obwohl diese den Unrechtsstaat DDR verteidigt. Auch wirtschaftlich ist viel passiert. Die Industrieproduktion wächst in den ostdeutschen Flächenländern derzeit schneller als im Westen. Die Arbeitslosenquote ist von 14,7 Prozent im vergangenen Jahr auf jetzt 12,8 Prozent gesunken. Das »Solarvalley« bei Bitterfeld - hier entstehen 80 Prozent der Sonnenkollektoren für den deutschen Markt - ist nur ein Beispiel für Hochtechnologie »made in East-Germany«. Städte wie Leipzig und Dresden erstrahlen in einem Glanz wie nie zuvor. Damit sind freilich nicht alle Probleme gelöst. Entvölkerung und eine zu geringe eigene Wirtschaftskraft sind nur zwei wesentliche Stichworte. »Wir haben viel erreicht, aber es ist noch viel zu tun«, sagt Wolfgang Tiefensee (SPD). Als Bundesminister für den Aufbau Ost weiß der ehemalige Leipziger Oberbürgermeister, dass der Osten die Transferzahlungen aus dem Solidarpakt II (von 2005 bis 2019 insgesamt 156,5 Milliarden Euro) braucht. Er weiß aber auch, dass die Solidarität nicht überstrapaziert werden darf. Nicht nur der Osten ist strukturschwach. Schon lange wächst im Westen die Angst, benachteiligt zu werden. Während das Ausland den deutschen Einigungsprozess gleichermaßen bestaunt wie bewundert, tun wir Deutsche uns schwer damit. Gegenseitiges Verständnis bleibt ebenso Mangelware wie Geduld. Die vereinte Bundesrepublik wird volljährig, erwachsen ist sie noch nicht. Doch das ist normal, auch wenn viele anderes glauben machen wollen. Also, aus ganzem Herzen: Herzlichen Glückwunsch zum 18. Geburtstag, Deutschland!
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