All Stories
Follow
Subscribe to Westfalen-Blatt

Westfalen-Blatt

Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Thema "Die Intellektuellen"

Bielefeld (ots)

Martina Gedeck hält ein Referat über die RAF:
»Ulrike Meinhof griff zur Waffe, nachdem sie jahrelang mit Worten 
gekämpft hatte, sich die Gesellschaft aber trotzdem nicht änderte.« 
Wäre dies wahr, dann müsste jeder Journalist irgendwann zum Mörder 
werden.
Martina Gedeck ist Schauspielerin. Qualifiziert sie das, uns die Welt
zu erklären? Offensichtlich: Veronica Ferres analysiert bei Reinhold 
Beckmann, warum die DDR unterging, denn sie war »Die Frau vom 
Checkpoint Charlie«. Die lange mit einem jüdischen Schuhhändler 
liierte Iris Berben soll sagen, wieso der Nationalsozialismus die 
Juden vernichtete, und wer keine Schmerzen an der deutschen 
Geschichte verspürte, sondern bloß im eigenen Körper, stoppte den 
(mittlerweile verstorbenen) Klausjürgen Wussow auf offener Straße, 
Herr Professor Brinkmann, ich hab da so ein Ziehen im Brustkorb . . .
Der Bürger sucht Orientierung, gerade in der Krise, und es gab 
Zeiten, da standen die Wegweiser an jeder Ecke. Als Willy Brandt mehr
Demokratie wagen musste, wenn der deutsche Michel nicht die Moderne 
verschlafen wollte, rissen sie sich um das Megaphon, Grass und 
Habermas, Harpprecht und Härtling, Jens und Lenz - mir nach! 
Herrlichen Zeiten führen wir euch entgegen.
Heute bräuchten wir sie wieder, doch wo sind die Intellektuellen, die
berufen sind, den Finger auf Wunden zu legen? Wer nutzt heute seine 
durch wissenschaftliche oder künstlerische Leistung erworbene 
Autorität und tritt im Widerstreit von Macht und Geist als 
Verteidiger des Geistes auf?
Keiner mehr da. Heute sieht der Historiker in den 68ern neue Nazis 
(Götz Aly), hält der Publizist Toleranz für gesellschaftlichen 
Selbstmord (Henryk M. Broder) und fräst der Philosoph den ersten Satz
der Selbsterkenntnis in Stein: »ich hasse, also bin ich« (André 
Glucksmann). Auf der anderen Seite des Rheins werden diese Leute 
querelleurs genannt, Radaubrüder, denn den Franzosen missfällt es, 
wenn die Sicherungen aus den Hirnen fliegen, dass es knallt. Mit 
solchem Unsinn lösen wir kein heutiges Problem.
Vereinzelt wird bereits der Verdacht laut, das sei womöglich eine 
Charakterfrage. Ein unfairer Vorwurf? Möglich. Andererseits ist von 
der bezwingenden Geisteskraft eines Theodor Mommsen, eines Thomas 
Mann oder auch nur eines Heinrich Böll wenig zu spüren. Von Luther 
wollen wir gar nicht erst anfangen, obwohl es sich in diesen 
Novembertagen schon aus biographischen Gründen anböte.
Die Chancen der Jungen auf Bildung und Arbeit sinken, die Bundeswehr 
droht den Rubikon zu überschreiten, weil Innenminister Wolfgang 
Schäuble den Bürger als Feind betrachtet, Aktienkurse über alles, 
über alles in der Welt: Es gibt viel, das sich zu kritisieren lohnt. 
Man kann nicht leidenschaftslos auf dem Sofa hocken bleiben, während 
die Hasardeure in Wirtschaft und Politik den Bürger in seiner 
Existenz bedrohen. Die Wurzeln der Intellektuellen liegen in der 
Aufklärung. Jetzt gilt es, deren Errungenschaften zu verteidigen.

Pressekontakt:

Westfalen-Blatt
Nachrichtenleiter
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 - 585261

Original content of: Westfalen-Blatt, transmitted by news aktuell

More stories: Westfalen-Blatt
More stories: Westfalen-Blatt
  • 09.11.2008 – 20:13

    Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Ypsilanti

    Bielefeld (ots) - Auch wenn die hessische Landesvorsitzende Andrea Ypsilanti auf die erneute Spitzenkandidatur für die Landtagswahlen im Januar verzichtet: Den dringend notwendigen Neuanfang für die schwer gebeutelten hessischen Sozialdemokraten bedeutet dieser Schritt nicht. Zum einen will Ypsilanti Parteivorsitzende und Fraktionschefin bleiben. Zum anderen ...

  • 07.11.2008 – 19:42

    Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Thema Hessen

    Bielefeld (ots) - Nach dem Desaster vom Wochenanfang hätte es für die hessische SPD-Vorsitzende Andrea Ypsilanti nur eine Schlussfolgerung geben können - sofortiger Rücktritt. Nicht die vier Abtrünnigen, allein sie hat den Scherbenhaufen zu verantworten, vor dem die hessische SPD heute steht. Doch die Möchte-Gern-Ministerpräsidentin hat daran bisher ...