Westfalen-Blatt: Das Westfalen-Blatt (Bielefeld) kommentiert:
Bielefeld (ots)
Das Horrorszenario mag vor dem geistigen Auge auftauchen: Die Fernsehkamera ist hautnah auf den Menschen gerichtet, der sich aus diesem Leben verabschieden will. Live geht's hier zu. Rundherum sitzen die Angehörigen, weinen, starren stumm in die Runde. Sie stehen im Banne der aufdringlichen Objektive, die jede Einzelheit im Großformat festhalten. Zwischendrin der Moderator, der leise und gefühlvoll ins Mikrofon säuselt, aus dem Sterbevorgang ein Event macht. Zwischendurch zwei Werbepausen samt dem einen oder anderen Trailer für nachfolgende Sendungen. Eine entsetzliche Vorstellung, die hoffentlich nie eintreten möge und die es bereits im Ansatz zu ersticken gilt. Um den Suizid geht es. Nicht um die Tatsache dass es das gibt, sondern um die Öffentlichmachung ist erneut sowohl in Großbritannien als auch hier der Streit entbrannt, nachdem am Mittwochabend im britischen Fernsehen eine TV-Dokumentation über die Selbsttötung des 59-jährigen Craig Ewert gezeigt worden ist. 45 Minuten lang war der Beitrag des Oscar-gekrönten Dokumentarfilmers Regisseur Zaritsky. Vor zehn Jahren schon hatte ein spanischer Privatsender eine 20 Minuten dauernde Selbsttötung gefilmt und in Ausschnitten ausgestrahlt. Eine Debatte hatte 2003 auch ein Beitrag in der renommierten ZDF-Reihe »37 Grad« ausgelöst. Darin wurde die Reise einer unheilbar kranken Frau dokumentiert, die sich in der Schweiz im Beisein eines Arztes das Leben genommen hatte. Der Moment des Sterbens wurde damals aber nicht gezeigt. Ist nun der Bann gebrochen? Der Fall Ewert hat heftige Reaktionen hervorgerufen. Es wird kontrovers diskutiert. Und das ist gut so. Zeigt es doch, wie empfindlich das Thema Sterben ist, wie belastet, befrachtet gar - wenn es nicht einfach verdrängt wird. Und die Darstellung im Fernsehen? Müssen wir uns daran gewöhnen? Noch gibt es in Deutschland keine speziellen rechtlichen Regelungen über begleitete Selbsttötungen. Der Rundfunkstaatsvertrag schreibt den TV-Veranstaltern lediglich vor, in ihren Sendungen die Würde des Menschen zu achten und zu schützen. Also bitte keine »verwerfliche und voyeuristische Inszenierung«. Als solche hatte die Deutsche Hospiz-Stiftung gestern die englischen Dokumentation bezeichnet. Ebenso wenig darf eine Dokumentation, und nur um diese Darstellung kann es gehen, zum Spielball von Interessen werden, beispielsweise mit dem Hinweis »Sponsored by Dignitas«. Will man ein Millionenpublikum erreichen, so ist das nur gerechtfertigt, wenn ein Fernsehbeitrag so gemacht ist, dass er den existentiellen Fragen des menschlichen Daseins ebenso präzise wie einfühlsam und mit aller Würde nachspürt. Was übrigens für alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens gelten sollte. Verantwortliches Handeln ist gefragt, von allen. Das setzt die Fähigkeit zur Reflexion und eine differenzierte Betrachtungsweise voraus. Lamentieren und verdammen nützt nichts. Wir müssen uns auseinandersetzen.
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