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Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Weltwirtschaftsforum

Bielefeld (ots)

Die Weltwirtschaft leidet unter schwerer
Schwindsucht. Erst verschwanden Millionen, dann Milliarden Euro für 
teuerste Rettungsschirme und -pakete. Insgesamt haben Politiker 
weltweit schon mehr als fünf Billionen aus Steuerzahlergeld locker 
gemacht. Und doch ist noch immer nicht klar, was natürlich alle 
erhoffen: Dass die teure Arznei rechtzeitig ihre Wirkung entfaltet.
Davos, seit 1971 alljährlich im Januar Treffpunkt der 
Wirtschaftselite, ist wohl Europas prominentester Luftkurort. 
Besonders hat sich das Schweizer Städtchen auf Lungenerkrankungen wie
Tuberkulose und Asthma spezialisiert. Reine Luft macht zudem die 
Köpfe frei. Damit ist Davos eine ideale Umgebung für ein 
Weltwirtschaftsforum. Um so größer bislang die Enttäuschung: Ansätze,
wie die Schwindsucht der Wirtschaft geheilt werden kann, fehlen.
Ein Grund liegt sicher in der Vorbereitung. Merkwürdig ist es schon, 
dass die prominentesten der 2500 Teilnehmer und Hauptredner beim 
Treffen in Davos Chinas Ministerpräsident Wen Jiabao und der 
russische Regierungschef Wladimir Putin sind - zwei Politiker, die in
ihren Ländern auf Dirigismus setzen und dafür sogar die 
Menschenrechte verletzen. Das deckt sich mit der Einschätzung, dass 
diejenigen, die einen starken Staat vertreten, weltweit auf dem 
Vormarsch sind. Als hätte es vor der Krise des Weltfinanzsystems 
nicht den Zusammenbruch der staatlichen Planwirtschaften gegeben. . .
Wo sind die führenden Wirtschaftsleute, die sich für die 
Marktwirtschaft ins Zeug legen? Davos wäre der richtige Ort, um das 
Pendel nicht ganz in Richtung Staatswirtschaft ausschlagen zu lassen.
Nichts gegen den türkischen Ministerpräsidenten, der die 
Unterdrückung der Palästinenser im Gaza-Streifen zeitweise zum 
beherrschenden Thema von Davos gemacht hat. Aber der Eklat, den er 
herbeiführte, zeugt davon, dass Davos als Kurort für ernsthafte 
Erkrankungen der Wirtschaft ausgedient hat. Vielleicht wird die Stadt
wieder der Zauberberg wie in Thomas Manns literarischem Klassiker: 
alltagsfern ein netter Ort zum Palavern, Vergessen und Verlieben.
Schade. Wo wenn nicht bei einem solchen Gipfel können Eliten besser 
darüber nachdenken, wie es zu der Krise kommen konnte und welche 
Konsequenzen irgendwann nach ihrem Ende zu ziehen sind? Dass sich 
etwas ändern muss, damit die alten Werte nicht verloren gehen, ist 
klar. Dass diese Neuerungen weltweit durchgesetzt werden müssen, 
liegt gleichfalls auf der Hand. Die Beschlussfassung darüber kann 
nicht in Davos erfolgen. Wohl aber könnte die Elite der Manager - von
Josef Ackermann über Peter Löscher bis Michael Dell - als Schritt zu 
den Veränderungen ein neues Selbstverständnis formulieren: ein 
ethisches Grundgesetz, hinter das künftig niemand mehr sanktionsfrei 
zurückfallen darf.
Davos hat als Kurort ausgedient. Davos muss sich neu erfinden. Sonst 
findet das Weltwirtschaftsforum künftig in Hongkong, Moskau oder 
Caracas statt.

Pressekontakt:

Westfalen-Blatt
Nachrichtenleiter
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 - 585261

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