Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Integrationsdebatte
Bielefeld (ots)
Als es das Wort Migrationshintergrund noch nicht gab, da waren Ausländerkinder einfach Ausländerkinder, und meine Freunde hießen Melih, Alpay und Nihat. Beim Kindergeburtstag mit den drei türkischen Jungs achtete ich darauf, dass auf den Hamburgern wirklich nur Rindfleisch war. Und von eins bis zehn zählen konnte ich auf Türkisch etwa zur gleichen Zeit wie auf Englisch. Geblieben ist von dieser Freundschaft nur die Erinnerung. Der Kontakt brach schon während der weiteren Schullaufbahn ab. Überhaupt wurde die Zahl der Türkischstämmigen in meinem Lebensumfeld immer geringer, an der Hochschule sowieso, aber selbst im Sportverein. Warum? In der Rückschau fallen mir da Situationen ein, denen ich damals nur wenig Bedeutung beigemessen habe. Momente voller Zweifel. Der Bekannten-Zweifel, ob der deutsche Junge die richtigen Spielkameraden hat. Der Lehrer-Zweifel, ob man dem Ausländerkind eine Empfehlung fürs Gymnasium geben kann. Der Zweifel der türkischen Eltern, ob das Kind seinen Weg machen wird und ob es überhaupt wichtig ist, sich zu den Bedingungen dieser deutschen Gesellschaft anzustrengen. Mehr als 25 Jahre später sind diese Zweifel nicht ausgeräumt. Die Gruppe der etwa 1,7 Millionen türkischen Staatsbürger in Deutschland und etwa 700 000 Deutschen türkischer Herkunft hat sich auseinander entwickelt. Die einen leben in ihrer Parallelgesellschaft mit türkischem Fernsehen, Zeitungen und Wertvorstellungen weiter weg von uns, als es damals der Fall war. Die anderen haben sich die deutsche Gesellschaft als die ihre gewählt. Türkischstämmige Arbeitgeber beschäftigten schon vor dem letzten Aufschwung etwa eine Viertelmillion Menschen, ein Drittel davon Deutsche. Was es also nicht mehr gibt, ist der typische »Türke in Deutschland«. Dafür hat eine deutsche Partei seit einiger Zeit einen Vorsitzenden mit Vornamen Cem, und im Kader der deutschen Fußballnationalmannschaft für das Länderspiel gegen Norwegen stehen ein Serdar und ein Mesut. Egal, ob Herr Özdemir die Grünen zum Erfolg führen wird, ob die Herren Tasci und Özil wirklich so begnadete Kicker sind: Deutsche und Türken beschäftigen sich fernab von Integrationsstudien mit ihrem Verhältnis. Und das in großer Bandbreite: Auf deutscher Seite halten viele Cem Özdemirs Forderung nach einem Kabinettsmitglied mit türkischen Wurzeln für ähnlich sensationell wie einen schwarzen US-Präsidenten. Auf türkischer Seite wird der Gelsenkirchener Junge Mesut Özil von einigen als Verräter beschimpft, weil er es wagte, sich für die Mannschaft des Landes zu entscheiden, in dem seine Familie in dritter Generation heimisch ist. So verschieden diese Reaktionen zu sein scheinen: Haben nicht beide Seiten einfach nur auf ihre Art noch Zweifel daran, dass Deutsche mit Migrationshintergrund richtige Deutsche sein können? Darüber sollten wir mal kurz nachdenken! Vor dem Länderspiel gibt es eine gute Gelegenheit: während der Nationalhymne unseres Einwanderungslandes.
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