Westfalen-Blatt: Das Westfalen-Blatt (Bielefeld) zum Thema Jugendgewalt und Medienkompetenz:
Bielefeld (ots)
Stereotyp und angriffslustig stellt ein durchschlagskräftiger Interessen-Verbund von Politik, Wissenschaft und Produzenten in Abrede, dass gewalttriefende Computer-»Spiele« erschreckende Wirkungen auf die inneren Empfindungen, die Vorstellungswelt und das Verhalten vor allem von Kindern und Jugendlichen haben. Endlich aber gerät diese Abwehrphalanx ins Wanken. Denn was zuvor schon mehr als 3500 Untersuchungen vor allem in den USA und Europa überzeugend nachgewiesen hatten, untermauern nun nochmals zwei neue Studien: Je öfter Kinder bereits im Alter von sechs bis zehn Jahren oder sogar noch früher Horror, Mord und Totschlag und Kriegsgreuel im Fernsehen und vorzugsweise in so genannten Computerspielen wie eine Droge konsumieren, desto stärker üben sie als 13- bis 15- Jährige und danach körperliche Gewalt gegen Gleichaltrige und selbst gegen Erwachsene aus. Solche menschenverachtend brutalen Machwerke fördern die Entwicklung von Aggressivität, Hass und Wut und lösen Rachegefühle aus - fatale Antriebsfedern für schwere Körperverletzungen an völlig Unschuldigen und Wehrlosen jedes Alters bis hin zu Geiselnahmen und blindwütigen Massakern in Schulen. Eigentlich hätte es dieser wahrlich bedrückenden jüngsten Erkenntnisse schon gar nicht mehr bedurft. Doch die Ergebnisse der Befragung von 653 bayerischen Hauptschülern durch den Tübinger Universitätsprofessor Günter L. Huber, Dr. Werner H. Hopf von der Schulberatung Oberbayern/Ost sowie Dr. Rudolf H. Weiss vom Oberschulamt Stuttgart lassen sich ebenso wenig kleinreden wie die nicht minder erschütternde Zwei-Jahre-Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen unter Leitung von Prof. Christian Pfeiffer: Kinder, die bereits als Zweit- und Drittklässler regelmäßig exzessive Gewalt in Computer-»Spielen« inhalieren, neigen mindestens dreimal häufiger zu handfester Gewalttätigkeit als Kinder, die mit derlei Brutal-»Spielen« oder -Videofilmen nichts im Sinn haben. Da ist es wohl kaum zu weit hergeholt, wenn man kritisch auf die enormen psychischen und sozialen Folgeschäden des Mediengewalt-Konsums bei Kindern und Jugendlichen hinweist. Fünf-, 15- und 25-Jährige sitzen Stunden, Tage und Nächte vor Computern und Spielekonsolen, ergötzen sich in »Spielen« wie Counter Strike, Doom 3, Call of Duty, Halo 3, Crysis oder Grand Theft Auto 4 etc., etc. an systematischen Tötungsorgien, demütigen, foltern, verstümmeln, erschießen, zerfetzen und zersägen Menschen wie am Fließband. Und die gigantische Wachstumsindustrie? Sie entlehnt ihre Killer»spiele« praktischerweise den virtuellen Kriegstrainingsprogrammen des US-Militärs. Angesichts dieser Perversion aber bleibt alles Beschwören einer »Medienkompetenz«, die doch vor allem junge Menschen erwerben müssten, letztlich hohles Schlagwortgerede. Denn: Erst aus Herzens- und Charakterbildung können Medienbildung und handwerklich-virtuose Medienkompetenz erwachsen.
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