Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu den Stasi-Unterlagen:
Bielefeld (ots)
Eine Behörde, die sich selbst infrage stellt, muss erst noch erfunden werden. Deshalb ist es zunächst einmal verständlich, wenn Marianne Birthler ihren Mitarbeitern bescheinigt, einen guten Job zu machen. Anlass der neuen Kritik an der Stasiunterlagen-Behörde ist ein Zufallsfund. Dass ein Westberliner Polizist Mitarbeiter der DDR-Staatssicherheit war, ist für sich genommen keine Sensation. Wenn dieser aber vor 42 Jahren einen gewissen Benno Ohnesorg erschossen hat und damit die damalige Studentenbewegung noch radikaler werden ließ, entbehrt das nicht einer gewissen Pikanterie. Was wäre, wenn die Stasi-Verbindung des damligen Todesschützen Karl-Heinz Kurras schon damals bekannt geworden wäre? Die Antwort ist müßig, da reine Spekulation. Solange nicht nachgewiesen wird, dass Birthlers Mitarbeiter - mehr als 50 von ihnen sollen früher für die DDR-Staatssicherheit tätig gewesen sein - absichtlich Akten manipulieren oder unterdrücken, ist ihnen kein Vorwurf zu machen. Ihre Aufgabe ist es zunächst einmal, die Opfer der Stasi-Bespitzelung darüber zu informieren, wer, welche Art von Daten gesammelt hat. Hinzu kommen Anfragen von Forschern und Journalisten. Es ist ja nicht so, dass die insgesamt 1700 Mitarbeiter die Akten von links nach rechts tragen und sonst nicht viel passiert. Derzeit gibt es Monat für Monat 12000 Anfragen von Menschen, die wissen wollen, was die Stasi wusste. Gerade 13 Wissenschaftler bohren mal tiefer in den Akten. Das sind nicht gerade viele, wenn es darum geht, 180 laufende Kilometer an Stellordnern zu verwalten. Anträge entgegennehmen, stempeln, bearbeiten, Akten heraussuchen und zur Einsichtnahme bereitlegen - das kostet Arbeitskraft und -zeit. Unbestritten lässt sich aus dem Stasi-Aktenbestand mehr herausholen. Kurras ist bestimmt kein Einzelfall. Der Arm der Stasi reichte bekanntlich bis in Willy Brandts Kanzleramt. Dass dieser das konstruktive Misstrauensvotum gegen Rainer Barzel überstanden hat, hatte er ebenfalls dem DDR-Geheimdienst zu verdanken. Und was noch? Um das zu erfahren, sollten alle West-Abgeordneten seit 1949 auf mögliche Stasi-Verstrickungen durchleuchtet werden. Das haben die Parlamentarier im Osten bereits weitgehend hinter sich. Auch 20 Jahre nach dem Mauerfall hat die Birthler-Behörde noch genug zu tun. Dabei könnte das Bundesarchiv sicher helfen, aber die Stasi-Akten dürfen nicht für die nächsten 30 Jahre unter Verschluss bleiben. Ganz im Gegenteil: Um über die Machenschaften der DDR-Diktatur zu informieren, müssen die Unterlagen vielen Menschen zugänglich bleiben, ohne dabei die Opfer der Spitzelei bloßzustellen. Wer noch mehr von der Birthler-Behörde verlangt, muss sie dafür ausrüsten. Die Zahl der Mitarbeiter ist in den vergangenen Jahren reduziert worden. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt...
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