Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Atomendlager/zum Atomenergie
Bielefeld (ots)
Über Chancen und Risiken der Kernenergie lässt sich trefflich streiten. Nicht aber über die Notwendigkeit, den strahlenden Müll aus den Atommeilern so sicher wie irgend möglich zu verwahren - und das über tausende und abertausende von Jahren hinweg. Nun ist es ausgerechnet Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD), der mit drei markigen Worten alle bisherigen Planungen umstößt: »Gorleben ist tot.« Man könnte diesen Vorstoß als reines Wahlkampfgeklingel abtun. Dann aber hätte sich Gabriel selbst ein Bein gestellt. Wer, wenn nicht der Umweltminister, müsste alles daran setzen, die Suche nach einem Endlager voranzutreiben? Überraschend kommt diese Notwendigkeit nicht - bereits seit dem Jahr 2000 herrscht in Gorleben Baustopp. Alternativen zu dem Salzstock im Wendland hat Gabriel dennoch nicht zu bieten. Wie auch - seit Jahrzehnten verschließen Regierungen jedweder Couleur die Augen vor dem Endlagerproblem. Dabei tragen CDU und FDP ein gehöriges Maß an Mitverantwortung: Nach Recherchen der »Frankfurter Rundschau« war es die schwarz-gelbe Koalition unter Kanzler Helmut Kohl, die im Jahr 1983 Bedenken von Fachleuten gegen ein Endlager in Gorleben mit einer politischen Weisung vom Tisch fegte. Dementiert worden ist dieser Vorgang bislang nicht - im Gegenteil: »Gorleben hatte immer einen Geburtsfehler«, konstatiert Wolfram König, der Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz. Augen zu und durch - für diese Strategie erfand die deutsche Bürokratie sogar eine neue Vokabel: Die »Eignungshöffigkeit«, die noch im Atomkonsens der rot-grünen Bundesregierung aus dem Jahr 2001 zu finden ist. Das Prinzip Hoffnung als Handlungsmaxime in einer der wichtigsten umwelt- und industriepolitischen Fragen der bundesdeutschen Geschichte? Das ist zu wenig. Wie es anders geht, macht das Nachbarland Schweiz vor. Dort scheiterte das ursprünglich geplante Endlager Wellenberg am Widerstand der Bevölkerung im Kanton Nidwalden - zu undurchsichtig erschienen den Eidgenossen die Planungen. Die Folge: Nicht mehr im Hinterzimmer, sondern auf offener politischer Bühne wird jetzt ein neuer Standort gesucht. Sechs mögliche Lagerstätten sind im Gespräch, die endgültige Auswahl erfolgt über öffentliche Anhörungsverfahren. Offen, transparent, maximale Bürgerbeteiligung: Nur so kann am Ende ein echter Konsens entstehen. In Deutschland regiert stattdessen das St.-Florians-Prinzip: Endlager ja, aber bitte nicht bei uns - so tönte es gestern vorsorglich schon einmal aus dem baden-württembergischen Umweltministerium. Wer auch immer nach dem 27. September Umweltminister in Deutschland sein wird, muss dieses Prinzip durchbrechen. Mit sachlichen Argumenten. Nicht mit markigen Sprüchen. Die haben auch in der Atompolitik eine kurze Halbwertszeit.
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