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Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Amoklauf von Ansbach

Bielefeld (ots)

Nun wissen wir also mehr: Georg R., der
Amokläufer vom Ansbacher Gymnasium Carolinum, handelte aus »Hass 
gegen die Menschheit im Allgemeinen und gegen die Institution 
Schule«. Das teilte die Oberstaatsanwältin Gudrun Lehnberger gestern 
mit - und konnte damit doch nichts erklären.
Auf 80 Seiten, gerichtet an eine in seinem wahren Leben nicht 
vorhandene weibliche Vertrauensperson, schrieb der Oberstufenschüler 
von seinen Ängsten, das Abitur nicht zu schaffen, die Zukunft nicht 
zu bewältigen, der Angst vor schwerer Krankheit, der Angst, keine 
Freundin zu finden. Er hatte Angst, ein Leben als Einzelgänger führen
zu müssen. Kurz: Georg R. hatte Angst vor dem Leben, Georg R. war 
lebensmüde vor Angst. Aber er hatte wohl auch Angst, sich das Leben 
zu nehmen. Und setzte daher auf das wahnsinnige Instrument, auf das 
sich bisher noch alle seine Vorgänger verlassen konnten: Er hoffte 
darauf, als Amokläufer durch Polizeikugeln zu sterben - und 
gleichzeitig, wenigstens auf diese Weise, einmal die Beachtung zu 
finden, die ihm bisher - gefühlt - versagt geblieben war.
 Das alles hören wir nun also. Doch begreiflicher macht es die Tat 
nicht. Denn Georg R.'s Ängste waren weithin unbegründet. Aber all 
jene, die ihn kannten, ja ihm so nahe standen wie seine Eltern und 
Schwestern, nahmen offenbar nicht wahr, was in dem Jungen vorging. 
Nicht anders war es ja bei Georg R.'s Vorgängern, vielleicht 
Vorbildern, gewesen. Ob der Amoklauf von Winnenden, bei dem der 
17-jährige Tim K. am 11. März 15 Menschen umgebracht hatte, um 
schließlich selbst zu sterben, der Anlass für die Pläne des jungen 
Ansbachers war, wissen die Ermittler nicht. Jedenfalls fand sich 
nichts darüber in seinen Aufzeichnungen. Allein, die zeitliche Nähe 
der Ereignisse spricht dafür: Georg R. begann im April, kaum dass 
Winnenden von den Titelseiten verschwunden war, sein apokalyptisches 
Szenario auszugestalten. Möglichst viele wollte er mitnehmen in den 
Tod. Ein Wunder, dass letztlich alle überlebten und es wenigstens 
Hoffnung gibt, dass auch die zwei schwerverletzten Schülerinnen 
genesen werden.
 Der Amoklauf des Georg R. steht in der unheilvollen Reihe jener des 
Robert S. am Erfurter Gutenberg-Gymnasium im April 2002, des Bastian 
B. an der Geschwister-Scholl-Realschule in Emsdetten Ende 2006 und 
dem des Tim K. in Winnenden. Bei allen stand hinterher schnell fest, 
dass es sich »irgendwie« um Ausgegrenzte handelte. Und schnell stand 
stets auch fest, dass Eltern und Schule mehr Zuwendung, Anerkennung 
und Hilfe geben müssten, damit das schlimmste der denkbaren 
Ereignisse nicht mehr eintritt.
 Ein frommer Wunsch: Bei Georg R. wie den anderen war ein Kurzschluss
dieser Art nicht vorhersehbar. Und auch, wenn sich mit ihm nun 
erstmals einer jener Wahnsinnstäter vor Gericht verantworten werden 
muss, weil er überlebte: Ein Urteil wird sich finden - eine Erklärung
nicht

Pressekontakt:

Westfalen-Blatt
Nachrichtenleiter
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 - 585261

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