Westfalen-Blatt: Das Westfalen-Blatt (Bielefeld) zum Thema NRW-Linke:
Bielefeld (ots)
Ball paradox: Während Millionen Menschen mit Faszination auf den 20. Jahrestag des Mauerfalls blicken, wurde am Wochenende in Hamm an der Rückkehr zum Sozialismus gearbeitet. Auch wenn einzelne Spinnereien aus hunderten von Änderungsanträgen zum Wahlprogramm glattgebügelt wurden, bleibt die Hauptstoßrichtung der Linkspartei in NRW klar: der Systemwechsel. Die Verstaatlichung von Großbetrieben, die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich, die Abschaffung der Schulnoten, die Ersetzung des Schulpflichtfachs Religion durch Ethikunterricht und die Freigabe von Drogen sprechen eine eindeutige Sprache. Auch die Rufe nach Gemeinschaftsschule, beitragsfreier Bildung und kostenlosem Mittagessen in Schulen und Kitas passen ins Bild. Dabei geht es nicht um einzelne, mitunter sogar vernünftige Wünsche, sondern die Gesamtausrichtung. Den Preis für das Paradies sollen jene zahlen, denen beim Parteitag in bald jeder Wortmeldung abgrundtiefer Hass entgegenschlug: Unternehmer, Mittelständler, Freiberufler und alle, die irgendwie erfolgreicher sind als die Hobbykommunisten im größten westdeutschen Landesverband. In diesen Tagen sollte man mit der Linkspartei in NRW vielleicht nicht vorrangig über den Fall der Mauer, sondern deren Bau diskutieren. Schließlich startete die DDR bei ihrer Gründung 1949 mit einem einfachen 120 Zentimeter hohen Drahtzaun zeitgleich mit der Bundesrepublik in den größten Vergleichswettbewerb gesellschaftlicher Systeme, den die Realität je gesehen hat. Die Massenflucht der Menschen zu allen Zeiten der DDR-Existenz spricht Bände. Selbst wenn die DDR ohne Schießbefehl, Karriere- und Studienverbote, Internierungslager und Stasi-Spitzeleien ausgekommen wäre, ist eines unstrittig: Jeder System-Check muss zu der Erkenntnis kommen, dass der sozialistische Großversuch an exakt jenen Grundsätzen gescheitert ist, denen Oskar Lafontaines Genossen wieder frönen. Schlimmer noch: Die gut 8000 NRW-Linken sind ein Sammelbecken für Hardcore-Kommunisten, DKP- und KBW-Altkader, Kuba- und Che-Guevara-Fans sowie Revolutionsveteranen. Nicht nur Sahra Wagenknecht hat mit ihrer kommunistischen Plattform in den linken Westen rübergemacht. Von der Konterrevolution gegen das siegreiche globale Finanzsystem träumen auch Antikapitalisten wie Ulla Lötzer und Ulla Jelpke, Platz eins und zwei der NRW-Bundestagsliste, sowie Andrej Junko (Platz sechs), der im April zu sozialen Unruhen aufrief. Oskar Lafontaine hat sehr viel mehr Mühe als nach außen erkennbar, die tiefe Spaltung zwischen radikalem Westen und fast schon konservativem Osten zu überbrücken. In NRW will er Korrekturfaktor sein und zugleich in die Regierung. Jetzt liegt es an SPD und Grünen, ob sie im Landtagswahlkampf auf einen möglichen Partner verweisen wollen, der zwischen Wolkenkuckucksheim und Anarchie irrlichtert.
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