Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT zum Schlichterspruch zu »Stuttgart 21«
Bielefeld (ots)
Am Ende wurde es arg pathetisch. Das »Stuttgarter Demokratiemodell« müsse fortan Vorbild sein, mahnte Heiner Geißler. Ein Schlusssatz wie gemacht für diesen Schlichter: Kleiner hatte es der 80-Jährige einfach nicht. Zweifelsohne hat Geißler guten Grund, mit sich zufrieden zu sein, vor allem, weil es ihm gelungen ist, den Konflikt um den neuen Tiefbahnhof zu befrieden. Auch hat das Schlichtungsverfahren in seiner Offenheit und in der Ernsthaftigkeit, in der es geführt wurde, einen unschätzbaren Wert. Viel wäre gewonnen, wenn andernorts die richtigen Lehren daraus gezogen würden. Politiker und Planer täten gut daran, aus Rechtsstaatlichkeit und Planungshoheit weniger Arroganz gegenüber den Bürgern abzuleiten. Die Bürger ihrerseits täten gut daran, nicht erst dann in Massen auf die Straße zu gehen, wenn die Bagger rollen und die Bäume gerodet werden. Auch macht es wenig Sinn, auf noch so komplexe Fragen stets einfache Antworten zu verlangen. Dass es jedoch so kommt, ist beileibe noch nicht sicher. Und »Stuttgart 21«? Hier lag das Grundproblem darin, dass es in der Sache so furchtbar wenig zu schlichten gab. Geißler selbst brachte es auf den Punkt: »Ein Kompromiss war nicht möglich.« Das wusste man allerdings auch schon länger: Der Bahnhof muss über oder unter die Erde - Souterrain geht einfach nicht. Am Ende fiel Geißlers Schlichterspruch zugunsten eines Weiterbaus von »Stuttgart 21« erstaunlich klar aus. Die baden-württembergische CDU um Ministerpräsident Stefan Mappus und die Deutsche Bahn als Bauherr hatten allen Grund aufzuatmen. Die zahlreichen kleinen und die wenigen größeren Nachbesserungen, die ihnen der Schlichter gestern ins Stammbuch geschrieben hat, sind erfüllbar. Tief frustriert müssen die Projektgegner sein. Ihnen attestierte Geißler zwar, mit dem Umbau des bestehenden Kopfbahnhofs eine »attraktive Alternative« vorgelegt zu haben. Nur wenige Sätze später aber war von diesem Lob nichts mehr übrig: Zu eindeutig spreche die Rechtslage für S21, zu groß sei der Planungsrückstand bei K21 und zu hoch die möglichen Regresskosten. Alles richtig, aber auch alles keine Argumente, die die Frage nach der Sinnhaftigkeit von Stuttgart 21 wirklich befriedigend beantworten könnten. Was Wunder also, dass die Projektgegner schon für Samstag neue Proteste mit tausenden Teilnehmern angekündigt haben. Geißler dürfte das geahnt haben, als er für die Zukunft vorsorglich eine »situationsbedingte Schlichtung« empfahl. Nur hoffen kann man, dass ein solches Instrument nicht notwendig wird, um noch einmal eine ähnlich verheerende Situation zu befrieden, wie sie nach der Demonstration am 30. September entstanden war. Am Ende wird es so kommen, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel prognostiziert hat. Die Entscheidung über den Stuttgarter Bahnhof fällt am 27. März 2011, wenn in Baden-Württemberg ein neuer Landtag gewählt wird.
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