Westfalen-Blatt: Das Westfalen-Blatt (Bielefeld) zum Thema Pflege:
Bielefeld (ots)
Reden wir einmal nicht übers Geld. Und das, obwohl es um die Pflege gebrechlicher Angehöriger geht. Nicht möglich? Doch. Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) hat es gestern versucht, und das war gut so. Vor allem würdigte er den zeitlichen, emotionalen und unbezahlten Einsatz jener Töchter, die ihre Eltern nicht hängen lassen. Schätzungsweise vier Millionen Frauen geben hierzulande ihren Eltern zurück, was sie selbst einmal erhalten haben. Viel zu wenig wird diese gigantische Leistung anerkannt. Mehr noch: Jene Angehörige, die sich reinhängen statt wegdrehen, entlasten die Allgemeinheit um zig Milliarden Euro. Was diese heutige Töchtergeneration ganz im Stillen leistet, wird spätestens dann klar, wenn die kommende Generation Kinderlos eines Tages selbst hinfällig ist. Die politisch verengte Finanzfrage bleibt: »Wer bezahlt Röslers Verbesserungen?«. Dies zu diskutieren gibt es noch reichlich Gelegenheit im gerade erst beginnenden Jahr der Pflege. Spätestens, wenn das Thema Hartz IV endlich vom Tisch ist, steht die Überarbeitung der Pflegegesetze auf der bundespolitischen Tagesordnung. Beim gestrigen Pflegegipfel ging es zunächst um Qualitätsfragen - noch ohne Preisschild. Alles, was vorgeschlagen wurde, war gut und teuer. Reha-Kuren für Pflegende, eine verbesserte Anrechnung der Pflege auf die Rentenansprüche, mehr Beratungsangebote für Pflegende, die seelisch überlastet sind, weniger Bürokratie und eine bessere Koordination der Hilfen, die pflegenden Angehörigen zustehen: Wer wollte da nein sagen? Die Fachverbände reagierten mit dem üblichen »Ja, aber ... zu wenig, bitte noch differenzierter, warum nicht gleich so?«. Bei genauer Betrachtung zeigt sich, dass es bereits eine Menge Angebote gibt. Der neue Vorschlag gemeinsamer Kuren nach dem Mutter-und-Kind-Modell mag in bestimmten Fällen eine tolle Sache sein. Eine breitenwirksame Maßnahme ist das nicht. So muss etwa kritisch gefragt werden, warum nicht mehr als 43 800 aus einer Gruppe von 1,6 Millionen Zuhause-Pflegenden 2009 die Verhinderungspflege in Anspruch genommen haben. Immerhin verbergen sich hinter diesem Wortungetüm 28 Tage Heimunterbringung eines Angehörigen zugunsten der total ausgepowerten Tochter. Auch klammert Röslers Diskussionsreigen die exorbitant hohen Kosten für Heimplätze in der privat kaum noch zu bewältigenden Pflegestufe drei aus. Die Pflegeversicherung deckt nur einen Teil der monatlichen Belastungen von bis zu 4500 Euro ab. Ein künftige Pflegeversicherung wird mit mehr Pflegefällen und weniger Einzahlern - soviel ist gewiss - private Vermögen noch stärker einbeziehen. Schon jetzt werden zuerst die Ersparnisse des alten Menschen aufgezehrt - und dann müssen die Kinder zahlen, die sich im Job aufreiben. Das Konfliktpotential steigt trotz gut gemeinter Reform.
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