Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Tod Osama Bin Ladens
Bielefeld (ots)
Man stelle sich vor, Osama Bin Laden wäre noch am Leben. Die US-Einheit hätte ihn im pakistanischen Abbottabad nur gefangen genommen. Der meistgesuchte Terrorist wäre nicht tot, sondern auf einem US-Flugzeugträger, in Guantanamo oder irgendeinem Sicherheitsgefängnis in den USA. Ganz ehrlich: US-Präsident Barack Obama und mit ihm die freie Welt hätten viele Probleme mehr. In dem Fall hätten Bin Ladens Gefolgsleute ein klares Ziel: die Befreiung ihres Idols. Eine Geiselnahme reihte sich vermutlich an die nächste. Viele Unschuldige müssten sterben - solange, bis Washington weich würde oder, was sehr unwahrscheinlich ist, El-Kaida vollständig ausgeschaltet wäre. Der Tod des Verbrechers Osama Bin Laden hat also der Welt einige Sorgen erspart. Darum sind die Erleichterung und bis zu einem gewissen Grad sogar die Freude verständlich. Der US-Präsident traf mit der Feststellung, »der Gerechtigkeit ist Genüge getan«, die Gefühle der meisten Menschen. Freilich entscheiden in einem Rechtsstaat nicht Gefühle, sondern Richter. Als die deutsche GSG 9 im Oktober 1977 eine von Terroristen entführte Lufthansa-Maschine auf dem Flugplatz von Mogadischu stürmte und dabei drei der vier Geiselnehmer tötete, da hatte die Bundesregierung vorher die Zustimmung des somalischen Präsidenten. Die Tötung Bin Ladens aber geschah ohne Wissen oder gar vorherige Zustimmung der pakistanischen Regierung - sagt der dortige Präsident. Da sich die USA und Pakistan nicht im Kriegszustand befinden, Pakistan im Gegenteil offiziell sogar als Verbündeter Washingtons gilt, ist die Aktion aus völkerrechtlicher Sicht mindestens fragwürdig. Wichtig für eine juristische Bewertung ist auch der genaue Verlauf. Starb Bin Laden im Kampf oder wurde er danach durch Kopfschuss hingerichtet? In vielen US-Staaten gilt die Todesstrafe. Vielleicht werden gezielte Tötungen deshalb dort von der Öffentlichkeit anders bewertet. Legal sind Todesschüsse in den meisten Ländern im Frieden ausschließlich in Notwehr - etwa wenn Geiseln nur so gefahrlos befreit werden können. Obama weiß um die Problematik außergesetzlicher Hinrichtungen. Gerade darum fragt man sich: War es richtig, die Leiche, die jeden Verdacht entkräften kann, im Meer zu versenken, um damit ein »Märtyrer«-Grab zu verhindern? Recht ist, was Richter entscheiden, nicht, was Politiker, für Recht erachten. Das Risiko besteht, dass Bin Laden dann womöglich noch frei wäre. Eines muss man dem US-Präsidenten zugute halten: Äußerlich hat er jedes Triumphgefühl unterdrückt. Auch das Foto, auf dem er und sein Sicherheitskabinett den Angriff am Bildschirm verfolgen, zeigt Angespanntheit - keine Freude. Es entstand, weil Obama stets von einem Hausfotografen umgeben ist. Aber es ist klar, dass das Bild vom Weißen Haus gezielt ausgewählt wurde - wie alle Fotos, die vielleicht noch von der Aktion in Abbottabad folgen. Die Bilder jubelnder Amerikanern werden denen, die El-Kaida nahestehen, bitter aufstoßen. Damit muss und kann der Westen leben. Schwieriger wird die Lage für Pakistan. Es kann sein, dass das Land unregierbar wird und auseinanderfällt. Das würde nicht nur den Einsatz in Afghanistan erschweren. Weil Islamabad über die Atombombe verfügt, könnte Pakistan zum Sprengstoff werden, vor dem die Welt sich wirklich fürchten muss.
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