Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielfeld) zum NRW-Haushalt
Bielefeld (ots)
Mit 90 von 181 Stimmen lässt sich in NRW Politik machen. Mathematisch paradox, demokratisch unsauber, machtpolitisch gewagt und mit Chuzpe gewonnen: So hat die rot-grüne Minderheitsregierung gestern endgültig die entscheidende Hürde genommen zum Durchregieren - vermutlich bis 2015. Mit der Duldung und von Gnaden der NRW-Linken wissen Hannelore Kraft (SPD) und Sylvia Löhrmann (Grüne) inzwischen, wie sie den vor ziemlich genau einem Jahr errungenen Zittersieg sichern können. Die Union musste einsehen, dass Neuwahlen riskant sind. Die Linke schluckt, dass die als »Hartz-Verbrecher« immer noch gescholtenen Sozialdemokraten den unpopulären Mittelweg des Kompromisses gehen. Im übrigen wissen alle: Rot-Grün würde bei Neuwahlen derzeit das entscheidende 91. Mandat lässig holen. An der Regierung selbst kann das nicht liegen, schon gar nicht an den beteiligten SPD-Ministern. Keine Spur von einer Renaissance des alten sozialdemokratischen Stammlands und einem Wiedererwachsen verlorener Größe. Gemessen an Namen wie Franz Müntefering, Wolfgang Clement und Peer Steinbrück drängt sich hinter den Vorleuten Hannelore Kraft und Sylvia Löhrmann höchstens Mittelmaß. Finanzminister Norbert Walter-Borjans ist bislang nur durch die Entdeckung von Milliarden Euro in der eigenen Kasse aufgefallen. Wirtschafts- und Verkehrsminister Harry Kurt Voigtsberger muss sich seit Amtsantritt als Fehlbesetzung schelten lassen. Wissenschaftsministerin Svenja Schulz machte erst Schlagzeilen, als sie wider besseres Wissen Angst vor einer schmutzigen Bombe in NRW schürte. Echte Probleme drohen Innenminister Ralf Jäger, dessen Stuhl bedenklich auf der Kippe steht. Von unzulässigen Parteispenden, über einen unrühmlichen Amtsantritt bei der Love Parade bis zur Kungelei mit einem antisemitischen Linksextremisten im heimischen Duisburg reicht die Liste der abzuarbeitenden Unanehmlichkeiten. Sachpolitik? Ach ja, die hat es im ersten Jahr Rot-Grün auch gegeben. Kinder- und Jugendministerin Ute Schäfer hat das lange verteufelte Kinderbildungsgesetz überarbeitet. Die Formulierung »Tagesmuter oder Tagesvater« wird ersetzt durch »Tagesbetreuungsperson«. Ansonsten wird das Gesetz kaum verändert fortgeschrieben. Demnächst wird sich Ute Schäfer allerdings das beitragsfreie dritte Kindergartenjahr zugute halten. Aber was ist daran eine Leistung, in eine Bank zu gehen und Wahlgeschenke voll auf Kredit zu finanzieren? Mehr noch: Die mit Gebührenfreiheit in Kita und Uni beglückte Generation wird die Wohltaten von heute später selbst bezahlen müssen. Das Grundproblem der vorsorgenden NRW-Sozialpolitik auf Pump bleibt ungelöst. Das rot-grüne Prinzip »Verschulden heute und Einsparen morgen« ist bisher noch nie aufgegangen, zuletzt nicht einmal in Griechenland.
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