Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Atomausstieg
Bielefeld (ots)
Manchmal tut man vom Grundsatz her das Richtige und bekommt dennoch keinen Applaus dafür. Ähnlich erlebt es Bundeskanzlerin Angela Merkel. Weder das verfrühte Handeln kurz nach der Atomkatastrophe von Japan noch der Plan, die Kernkraftwerke bis spätestens 2022 - also elf Jahre früher als vorgesehen - stilllegen zu wollen, sind Entscheidungen, die Angela Merkel und ihrer Regierung den ganz großen politischen Erfolg garantieren. Daran ändert auch nichts, dass die Mehrheit der Deutschen den Ausstieg nach wie vor für richtig hält. Und auch wenn die Regierung den Komplett-Umstieg auf Öko-Strom als »historisch« bezeichnet, wird die Skepsis der Deutschen anhalten. Merkels Vision von einer neuen Architektur des Energiewesens klingt ambitioniert. Die ökologischen und ökonomischen Chancen, die mit dem Schritt in ein neues Technologie-Zeitalter verbunden sind, erscheinen enorm. Merkel will die Bundesrepublik zu einem Vorzeigeland machen. Aber manchmal liegen Wunsch und Wirklichkeit meilenweit auseinander. Das könnte auch in diesem Fall so sein. Merkel hat gestern die Chancen der Energiewende in den Vordergrund gestellt. Von den Risiken, Ängsten und Sorgen sprach sie fast nicht. Dabei gibt es noch immer zu viele offene Fragen, auf die die Regierung bislang zu wenige oder gar keine Antworten gegeben hat. Beispiel Finanzierung: Es ist nach wie vor unklar, wie teuer der Ausbau der Stromnetze sein wird und ob er überhaupt in der Kürze der Zeit realisiert werden kann. Beispiel Stromkosten: Keiner weiß bislang ganz genau, ob - und wenn ja um wieviel - die Strompreise steigen werden. Beispiel Versorgungssicherheit: Schon jetzt kaufen wir Atomstrom aus anderen Ländern hinzu. Drohen uns in besonders kalten Wintern Versorgungsengpässe? Beispiel Akzeptanz: Sind die Deutschen überhaupt zur Energiewende bereit? Und zwar mit allen Konsequenzen, die ein massiver Ausbau gewaltiger Stromnetze zur Folge hat? Die Infrastrukturprojekte wie Stuttgart 21 oder auch der Neubau der A 33, der nach 40-jähriger Planung noch immer nicht abgeschlossen ist, sind nur zwei Beispiele, die belegen, wie schwierig derartige Vorhaben sind. Nicht der Atomausstieg selbst ist das Problem. Die Herausforderung an Politik und Gesellschaft wird es sein, den schnellen Atomausstieg so zu meistern, dass er bezahlbar, praktisch lösbar ist und andere Zukunftsthemen wie Bildung und Integration nicht vernachlässigt werden. Experten haben Merkels Energiepläne mit dem Prozess der Deutschen Einheit verglichen. Auf die Deutschen wartet erneut eine riesengroße Herausforderung. Ob auch diese Wende eine Erfolgsgeschichte wird, wissen wir erst in einigen Jahren. Zumindest politisch hat Angela Merkel schon einen Erfolg sicher: Die Energiewende ist ihr Thema. Für Grüne und SPD bleibt nur die Zuschauerrolle.
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