Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Thema Staatsverschuldung
Bielefeld (ots)
Als die braven Schwaben vor einigen Wochen für den Erhalt ihres alten Stuttgarter Bahnhofs auf die Straße gegangen sind, mussten sie sich außerhalb vom Ländle vielfach als »Wutbürger« beschimpfen lassen. Wer aber in Wirklichkeit echte Wutbürger erleben will, der muss nach Griechenland fahren. Dort flogen zuletzt nicht nur Eier und Tomaten, sondern auch Steine. Ob der positive Abschluss der Verhandlungen Griechenlands mit der EU-Kommission und dem Internationalen Währungsfonds die Wut auf den Athener Straßen dämpfen kann, wird sich zeigen. Von außen wurde es zuletzt so dargestellt, als seien alle Griechen undankbar. Aus der Sicht des einzelnen Hellenen ist die Welt anders. Diejenigen, die jetzt arbeitslos werden, wissen nicht, wie sie ihre Familie über die Runde bringen sollen. Sie brauchen eine Perspektive. Die EU tut, was sie kann. Die neue Tranche von zwölf Milliarden Euro wird den griechischen Staatsbankrott verhindern, der wie ein Damoklesschwert über den Verhandlungen stand. Andererseits brauchte es die beschlossenen weiteren Sparmaßnahmen, um die aufkeimende Wut gegen »die« Griechen innerhalb der EU ruhigzustellen. Die 78 Milliarden Euro, die durch die Verkäufe von Staatsbeteiligungen und Staatsimmobilien in die Haushaltskasse fließen werden, sind mehr als ein kleiner Tropfen, selbst wenn die Kredite mit 330 Milliarden Euro noch einmal deutlich höher sind. Diese Privatisierung ist auch nicht der Ausverkauf, den eine deutsche Boulevard-Zeitung zu Beginn der Krise beschwor, als sie die Athener Akropolis und manche schöne Urlaubsinsel medienwirksam zum Verkauf stellte. Wenn das Sparpaket mehr als nur eine weitere Verschnaufpause für den Euro bringen soll, dann muss die Zeit jetzt genutzt werden, um vor allem die Steuer- und Sozialsysteme in Europa anzugleichen. Sie gleich zu machen, das wird nicht gehen - jedenfalls noch lange Zeit. Bei alledem müssen die Europäer aufpassen, dass sie ihre Sicht nicht auf den Euro verengen. Gefährlicher für die freie Welt als Griechenland, Portugal oder auch Irland ist auf mittlere Sicht die Situation in den USA. Nun droht eine weitere Abstufung im Kreditrating. Und ganz im Gegensatz zur Wut der Griechen wünscht man sich als Europäer nun bei den Nordamerikanern etwas mehr Emotion. Nichts deutet darauf hin, dass die Bürger von Boston bis San Francisco die Dramatik ihrer Staatsverschuldung erkannt haben. Schon scheinen die ersten minimalen Schritte zur Haushaltssanierung wieder in den Mühlen eines langen Präsidentenwahlkampfes zerrieben zu werden. Die Strategie der Republikaner, alle Vorschläge von Barack Obama zu torpedieren, solange dieser nicht von der Gesundheitsreform lässt, ähnelt der von Oskar Lafontaine 1997 in Deutschland. Damals wie heute blockiert eine Partei zu Lasten des Landes, um sich selbst an die Macht zu hieven. Es verwundert, dass dies nicht mehr Wut erzeugt.
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