Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT zum Verhältnis China und Deutschland
Bielefeld (ots)
Chinas Premierminister Wen Jiabao besucht Deutschland. Mit unerwarteten Entscheidungen versuchen die Machthaber in Peking, ihren Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Der Künstler Ai Weiwei war 80 Tage lang inhaftiert. Kurz vor Jiabaos Europareise wurde er gegen Kaution entlassen. Der Bürgerrechtler Hu Jia kam am Sonntag nach dreieinhalb Jahren Gefängnis auf freien Fuß. Was sind aber zwei Gnadenbeispiele gegen schätzungsweise 5500 Menschen, die in China aus politischen Gründen in den Kerkern sitzen? Man erinnert sich auch an den Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo: Er durfte nicht nach Oslo reisen und ist weiterhin in Haft. Peking erfüllt unsere Erwartungen an Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Freiheit und Menschenrechte nicht. Willkürliche Inhaftierungen, die Todesstrafe, Pressezensur, Demonstrationsverbote oder die Unterdrückung von Tibetern und Uiguren diskreditieren das Reich der Mitte als Unrechtsstaat. Mit der Kampagne »Gold für die Menschenrechte« hatte Amnesty International zu Olympia 2008 die Finger in die Wunde gelegt. Die Welt erfuhr, dass sich Willkür, Schikane und Verfolgung hinter dem Glanz chinesischer Sportstadien versteckt. Dennoch müssen wir mit China leben. Das Reich der Mitte steigt wirtschaftlich, diplomatisch und militärisch zur Supermacht auf. Doch während China zur Wachstumslokomotive der Welt avanciert, bleiben die chinesischen Defizite bei Freiheit und Demokratie: Amnesty und Reporter ohne Grenzen haben Kanzlerin Angela Merkel aufgefordert, Premier Jiabao auf Menschenrechte anzusprechen. Der Regierungssprecher verspricht, dass Fragen der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte »nicht in den Hintergrund treten werden.« Die Bundesregierung ist entschlossen, moralisch Flagge zu zeigen. Wie kann das geschehen? Der Spagat zwischen der Stärkung deutsch-chinesischer Beziehungen und der berechtigten Kritik an Peking erfordert eine Gratwanderung zwischen moralischen Ansprüchen und pragmatischer Realpolitik. Hierbei sind Feingefühl und diplomatisches Geschick gefordert, denn China pocht auf das Prinzip der Nichteinmischung und fühlt sich brüskiert, wenn es öffentlich sein Gesicht verliert. Es wäre sinnvoll, die Chinesen hinter verschlossenen Türen deutlich zu kritisieren, sie aber öffentlich zu schonen. Wer Chinesen beschämt, macht sie sich zum Feind. Das wäre unvernünftig und gefährlich. Premierminister Jiabao hat die Kanzlerin bei ihrem letzen Chinabesuch hofiert. Er kommt als Freund und zeigt Bereitschaft, die Klagen über Menschenrechte, Produktpiraterie oder Internet-blockaden anzuhören. Hier liegt eine Chance, Einfluss auf China zu nehmen. Das geht aber nur, wenn man seine Führer nicht öffentlich erniedrigt und beim Spagat zwischen Moral und Wirtschaftsinteressen den Respekt vor der anderen Kultur nicht ganz verliert.
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