Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Türkei
Bielefeld (ots)
Der türkische Staatspräsident Abdullah Gül ist in Deutschland willkommen. Der höfliche und diplomatische Staatsmann pflegt die deutsch-türkische Freundschaft und wirbt für den EU-Beitritt seines Landes. Doch leider wird sein Besuch vom schweren Terrorakt in Ankara mit Toten und Verletzten überschattet. Das Leid der Opfer und ihrer Angehörigen lässt Diplomatie und Politik in den Hintergrund treten. Doch auch politisch verläuft Güls Besuch nicht reibungslos. Zunächst eckt der Gast mit seiner Kritik am deutschen Ausländerrecht an, und dann lehnt Kanzlerin Angela Merkel (CDU) die türkische EU-Vollmitgliedschaft erneut ab. Beharrlich fordert sie eine »privilegierte Partnerschaft« mit der Türkei. Das trifft Gül hart, denn die deutsche Regierung und viele Europäer halten den avisierten EU-Beitritt für verfehlt. Die Türkei strengt sich enorm an, um die EU-Mitgliedschaft zu erringen. Eifrig reformiert sie Politik, Justiz, Wirtschaft und Soziales, doch die EU bleibt unzufrieden, die Beitrittsverhandlungen stecken fest. Brüssel rügt weiterhin Defizite in der Kurdenfrage, bei der Presse- und Religionsfreiheit, in der Zypernfrage und beim Umweltschutz. Bisher wurden nur zwei von 35 Verhandlungskapiteln abgeschlossen. Das ist kein gutes Vorzeichen für ein erfolgreiches Ende der ergebnisoffenen Verhandlungen. Auch die angeblich starke türkische Wirtschaft hat bisher kaum das EU-Niveau erreicht: Das türkische Pro-Kopf-Einkommen beträgt nur etwa ein Drittel des griechischen Einkommens, und auf der Weltrangliste der wirtschaftlich stärksten Länder liegt die Türkei nur auf Platz 20. Diese bescheidene Stellung berechtigt nicht zu großen Ansprüchen, auch wenn die türkische Wirtschaft erstaunlich schnell wächst. Doch die Türkei muss nicht unbedingt zur EU gehören. Die privilegierte Partnerschaft hat Vorteile: Die Türkei könnte die strengen Beitrittsbedingungen vermeiden, beste Handelskonditionen genießen, außenpolitisch selbstbewusst agieren und einer drohenden Demütigung entgehen, sollte die EU die Türkei letztlich ablehnen. Denn zumindest Frankreich, Deutschland und Österreich wehren sich gegen den Beitritt. Die Gründe sind seit Jahrzehnten bekannt: geographische und ethnische Einwände, wirtschaftliche Bedenken, religiöse Vorbehalte und Angst vor der Überdehnung der Europäischen Union. Diese Kritik mag umstritten und teilweise unberechtigt sein, in den Köpfen vieler Europäer ist sie jedoch real. Die Türkei gilt als zunehmend selbstbewusst, einflussreich und stark, ihre Außenpolitik prägt die gesamte Region. Als verheißungsvolles Schwellenland kann die Türkei auch ohne die EU-Vollmitgliedschaft gut leben. Das weiß auch Präsident Gül. Er muss das nur noch akzeptieren - und dann könnte das zähe und peinliche Ringen um den türkischen EU-Beitritt mit der privilegierten Partnerschaft würdevoll beendet werden.
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