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Westfalen-Blatt: Das Westfalen-Blatt (Bielefeld) zum Thema Bundesverfassungsgericht:

Bielefeld (ots)

Das Bundesverfassungsgericht wird 60, und kluge Beobachter sind der Meinung, es seien eben diese 16 Juristen, die den Bürger lehren, dass er Rechte habe und nicht bloß Untertan sei. Das BVG ist ein Geburtshelfer der zweiten deutschen Demokratie gewesen, und es stimmt sehr nachdenklich, dass diese Leistung im Kampf gegen die Politiker erbracht wurde, die doch Volksvertreter und damit lupenreine Demokraten sein sollten. 1961 hat das BVG Bundeskanzler Konrad Adenauer das regierungsnahe Fernsehen weggenommen, bevor er es installieren konnte. In den 70ern gifteten die Sozialliberalen, sie ließen sich ihre Politik nicht von den »A...löchern aus Karlsruhe« kaputtmachen, und 20 Jahre später, als es um Kruzifixe in Schulen ging, erklärte die Union die Verfassungshüter zu Totengräbern der Moral. In dem Maße aber, wie das Ansehen der Politiker sank, erhoben sich die Karlsruher Richter in der öffentlichen Wahrnehmung zu engelsgleichen Garanten von Freiheit und Menschenwürde - allerdings um den Preis, dass sie unter der Last von jährlich gut 6000 Eingaben in die Knie zu gehen drohen. Das BVG ist der lebendige Ausdruck der Überzeugung, dass das Grundgesetz nicht bloß eine Geschäftsordnung für politische Gremien ist, sondern vielmehr die Schrift gewordene Ordnung des sozialen Miteinanders aller Deutschen. Wahr ist auch: Die Sympathie der Verfassungshüter gilt kaum je der Regierung und ihrer Verwaltung - dafür um so mehr der Legislative, den Parlamenten. Das soll dem Volksvertreter den Rücken stärken, doch der lässt sich zum Bedauern des ehemaligen BVG-Präsidenten Hans-Jürgen Papier von der Regierung stets den Schneid abkaufen. Abgeordnete als Befehlsempfänger des Kanzleramts: Papier und seine Kollegen mahnen mehr Selbstbewusstsein an, anderenfalls drohe der Kollaps der Demokratie. Die Schieflage der drei Gewalten - Legislative, Exekutive, Jurisdiktion - tritt ja längst offen zutage: Obwohl das BVG Berlin bis Juni 2011 Zeit gab, das Wahlrecht endlich verfassungskonform zu regeln, regt sich erst jetzt etwas: Schwarz-Gelb bringt heute eine Reform ein. Und wie könnte es anders sein: Rot-Grün droht mit dem Gang nach Karlsruhe. Sollten also Neuwahlen nötig werden, bevor sich die Politik einigt, droht schlicht die Zwangsauflösung des Bundestags durch die Richter. Oder, noch peinlicher, Karlsruhe drückt ein eigenes Wahlrecht durch, was der BVG-Präsident Andreas Voßkuhle bereits angekündigt hat. »Das BVG kann gute Politik nicht ersetzen«, sagt Voßkuhle. Stattdessen steckt es den grundgesetzlichen Rahmen ab, in dem die Politik handeln muss. Die jedoch zittert und zagt - die Entscheider sitzen nicht in Berlin, sondern in Karlsruhe. Die Verfassungsrichter waren einst die Geburtshelfer der deutschen Demokratie. Heute sind sie ihre stabilsten Garanten. Ob sie das aber angesichts der erstarkenden EU-Konkurrenz bleiben können, ist völlig offen.

Pressekontakt:

Westfalen-Blatt
Nachrichtenleiter
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 - 585261

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