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Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Wulffs Rücktritt

Bielefeld (ots)

Deutschland hat keinen Bundespräsidenten mehr. Schon wieder. Zum zweiten Mal in Folge tritt das Staatsoberhaupt vor der Zeit zurück. Welch Zäsur innerhalb von 20 Monaten. Wird nun zur Gewohnheit, was vor zwei Jahren vollkommen undenkbar erschien? Horst Köhler ging aus anderen Gründen als Christian Wulff. Köhler sah das Amt beschädigt, Wulff hat es beschädigt. Köhler flüchtete voreilig und ohne Not, aber erhobenen Hauptes. Wulff hielt sich am Amt fest, als es längst kein Halten mehr gab. Nun geht er in allergrößter Not. Für einen Abgang in Würde ist es zu spät. Die Verantwortung dafür trägt Wulff selbst. Er trägt sie nicht allein, aber zuvorderst. Wer etwas anderes sagt, verwechselt Ursache und Wirkung. Wulff trägt schwer an dieser Verantwortung. Seine Integrität ist dahin, und mit seinem Rücktritt ist die Geschichte für ihn längst nicht zu Ende. Im Gegenteil: Die Staatsanwaltschaft kann nun ungehindert ermitteln, und die Debatte um die Gewährung des Ehrensolds hebt gerade erst an. Schaden aber tragen auch Amt und Land davon. Die politische Kultur hat gelitten. Wieder einmal. Und wir Journalisten tun gut daran, unseren Anteil an diesem Befund nicht zu gering zu schätzen. Auch das gehört zur Wahrheit in der Causa Wulff dazu. Am Freitag hat Christian Wulff seinen Rücktritt erklärt, das Amt aber hat er viel früher verloren. Christian Wulff, der Präsident, der sich ungestraft Lügner nennen lassen musste. Der als Schnäppchenjäger, Schnorrer und Häuptling vom Stamme Nimm veralbert wurde. Ja, der Präsident, vor dem sogar der Karneval nicht mehr haltmachen wollte. Am schlimmsten aber: Christian Wulff, der Präsident, der alles erlaubt sah, was nicht ausdrücklich verboten war. Der alles erklären zu können glaubte, und doch zu viele Erklärungen schuldig blieb. Verfangen zwischen Schein und Sein hatte Wulff abgewirtschaftet. Selbst ein harmloser Pflichttermin wie es die Vorstellung einer Sonderbriefmarke zum Thema »Wahre Werte« im Leben eines Bundespräsidenten eigentlich ist, hatte plötzlich etwas Peinliches. »Was sagt er wohl?« und »Wie meint er das?«, lauteten die Fragen, die immer mit im Raum standen. Eine weitere drängte sich auf: »Wie lange hält er das bloß aus?« Seine Rücktrittsrede zeigte, dass er es nicht mehr aushält. Sie zeigte einen Mann, der leidet - wohl immer noch mehr an der Welt als an sich selbst. Dass er Fehler gemacht hat, wussten wir schon. Weiter reichte die Selbstkritik nicht. Ob »rechtlich alles korrekt« war, wie er behauptet, wird die Justiz hoffentlich klären. Die Öffentlichkeit hat einen Anspruch darauf wie Wulff selbst. Die Unschuldsvermutung gilt. Doch auch aus einem Freispruch würde kein Freibrief mehr. Anstand ist eine moralische, keine rechtliche Kategorie. Kanzlerin Angela Merkel hat Christian Wulff bis zuletzt verteidigt, was schon für sich genommen ein Desaster darstellte. Was ist das für ein Präsident, der den Schutz der Kanzlerin benötigt? Gestern hat Angela Merkel ihre Lehre gezogen. Nachdem sie zwei Präsidenten verloren hat, ist sie einen Schritt auf die Opposition zugegangen. Ihr Wunsch nach einem Konsenskandidaten ist Schuldeingeständnis und Zeichen eigener Stärke zugleich. Auch wenn es paradox klingt: Gerade die Affäre Wulff hat Merkels Ansehen so gesteigert, dass sie sich in der Präsidentenfrage nun sogar eine gewisse Großzügigkeit erlauben kann.

Pressekontakt:

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Nachrichtenleiter
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 - 585261

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