Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Putin
Bielefeld (ots)
»Moskau glaubt den Tränen nicht«: Aus diesem in Russland populären Filmtitel ist am Sonntagabend Gewissheit geworden. Mit feuchten Augen schwärmte Wladimir Putin zwei Stunden nach Schließung der Wahllokale von seinem »sauberen Sieg«. Die Anhänger jubelten und kreischten. Die Opposition dagegen fühlte sich gereizt bis aufs Blut. Denn in Wahrheit setzte Putins Freudenträne auf dem Moskauer Manegeplatz den theatralischen Schlusspunkt unter eine von Betrugsvorwürfen überschattete Abstimmung. Wladimir Putin hatte nichts dem Zufall überlassen. Wirklich gefährliche Gegenkandidaten waren gar nicht erst zur Präsidentenwahl zugelassen worden. Schon am Donnerstag letzter Woche warnte er die Opposition vor einer Fälschung der Webcam-Übertragung aus den Wahllokalen. Experten sehen darin einen ganz klaren Hinweis an regimetreue Wahlvorstände, wie sie später mögliche Beschwerden abzubügeln haben. Die internationalen Wahlbeobachter beklagten gestern Unregelmäßigkeiten in jedem dritten Wahllokal und die einseitige Vorberichterstattung der Staatsmedien. Die kannten wochenlang praktisch nur einen Kandidaten - Putin. Vermutlich hätte der bei allen Abstrichen, die von den offiziell erzielten 63,6 Prozent zu machen sind, die Präsidentenwahl auch ohne Manipulationen gewonnen. Er wäre spätestens im zweiten Wahlgang gegen Altkommunist Gennadi Sjuganow gewählt worden, weil viele Russen Putin wollen und lieben. Wahrscheinlich war das der Grund für Putins Freudentränen. Plötzlich stellt einer, der sich gern als harter Hund inszeniert, fest, dass ihm sein Volk zu Füßen liegt. Mit anderen Worten: Der alte, von ewigem Misstrauen durchdrungene Ex-Geheimdienstoffizier Putin war sich seiner Sache doch nicht so sicher gewesen. Damit erhärtet sich die Annahme, dass die Distanz zwischen Volk und Führer in Wahrheit gewaltig ist. Putin regiert sein Zarenreich mit Methoden von gestern, obwohl er es gar nicht nötig hätte. Das aufgeklärte Bürgertum muckte ein wenig auf, mehr nicht. Nur in Moskau rückten die seit der Dumawahl im Dezember daueropponierenden Kräfte Putins Werte unter 50 Prozent. Auch die Menschenkette gestern Abend am Kreml und die Demonstration gegen den neuen Zaren können nicht rütteln an Putins komfortablem Rückhalt bei zumindest der Hälfte seines Staatsvolks. Für Putin wird es in seiner dritten Amtszeit darauf ankommen, die überfällige Modernisierung Russlands mit Hilfe der skeptisch-kritischen Intelligenz zu schaffen. Nur mit den jungen, besser ausgebildeten und freier denkenden Kräften kann er überwinden, was andererseits die Basis seiner Macht darstellt: die an Korruption und Pfründenwirtschaft klammernden Beamten, Militärs und Angestellten ehemaliger Staatsbetriebe. Das sind die Kreise, die jede Veränderung fürchten und Putin de facto auf Lebenszeit gewählt haben.
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