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Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Zapfenstreich für Christian Wulff

Bielefeld (ots)

Um die Ehre, der deutschen Demokratie im höchsten Staatsamt dienen zu dürfen, hat sich der als Schnäppchen-Präsident verspottete Christian Wulff selbst gebracht. Doch das, was der Person Christian Wulff und dem vom ihm 20 Monate lang bekleideten Staatsamt vor und beim symbolträchtigen Zapfenstreich aufgeladen wurde, übersteigt das erträgliche Ausmaß - moralisch wie politisch. Gegen Christian Wulff wird ermittelt. So gehört es sich in einem Rechtsstaat, der Verfehlungen ohne Ansehen der Person aufzuklären und bei Überführung des Verdächtigen zu ahnden hat. Verstoß gegen die niedersächsische Landesverfassung und Vorteilsnahme lauten die Vorwürfe, die noch unbewiesen sind, zumindest aber plausibel erscheinen. Dazu kommen klebrige Freundschaftsgeschäfte, die kaum justiziabel, aber unanständig sind. Allein das war Anlass genug für den Rücktritt. Aber rechtfertigt das die schrille Häme in weiten Teilen der Öffentlichkeit, das karnevaleske Vuvuzela-Tröten vor dem Schloss Bellevue, das angewiderte Abwenden der gesamten politischen und gesellschaftlichen Führung? Rot-Grün bleibt dem Zapfenstreich geschlossen fern, Vertreter von evangelischer wie katholischer Kirche führen fadenscheinige Terminprobleme ins Feld, das Bundeskabinett quält sich in kleiner Besetzung zum Schloss Bellevue, als würde dort ein Schwerverbrecher hofiert. Dabei geht es längst nicht mehr um Wulff und seine Affären: Der Sünder, der er unbestritten ist, wird zum Sündenbock gemacht für eine umfassende Politikverdrossenheit, für den Unmut in der chronisch zerstrittenen schwarz-gelben Koalition über das eigene Unvermögen, für den rot-grünen Frust, Kanzlerin Angela Merkel nicht schärfer angreifen zu können, weil sie nun einmal Popularität und Vertrauen in der Bevölkerung genießt. In der Folge schwindet das Vertrauen in den Staat und seine Organe. Vier von fünf Deutschen wünschen sich eine Direktwahl des Präsidenten. Das offenbart die Hoffnung auf einen überparteilichen Oberpolitiker, einen gerechten und unfehlbaren Volkstribun. Doch das ist eine gefährliche Illusion. Der Bundespräsident wirkt eben nicht durch allumfassende Macht (allein dieser Gedanke lässt jeden Demokraten schaudern), sondern durch Worte und Gesten, bestenfalls durch moralische Führung. An diesem hohen Anspruch ist Christian Wulff gescheitert. Es hätte ihm gewiss zur späten Ehre gereicht, auf Ehrensold wie Zapfenstreich zu verzichten. Doch das stand - wie der Entschluss zum Rücktritt - allein in seinem Ermessen. Mit Bedacht hat der Staat das Amt des Bundespräsidenten so ausgestattet, wie es seiner Bedeutung angemessen ist, und dazu zählen auch Großer Zapfenstreich und Ehrensold - unabhängig von der Amtsführung. Wer kleinkrämerischem Aufrechnen das Wort redet, entehrt am Ende Amt und Staat.

Pressekontakt:

Westfalen-Blatt
Nachrichtenleiter
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 - 585261

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