Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT zur Präsidentschaftswahl in Frankreich
Bielefeld (ots)
Alles weist darauf hin, dass Nikolas Sarkozy am 6. Mai die Wiederwahl verpasst. Frankreich setzt auf Wechsel und Neuanfang mit François Hollande. Bei Armut, Haushalt, Arbeit, Bildung, Verschuldung und Einwanderung verspricht der Sozialist einen neuen Kurs: Er will die Banken aufspalten, die Reichen mehr besteuern, 60 000 Lehrer einstellen und die Beamten verwöhnen. Hier ist Hollande konsequenter als die deutschen Sozialdemokraten: Ein französischer Sozialist schließt keine Kompromisse. Uns mag es recht sein. Ob Frankreich seine Innenpolitik sozialistisch oder konservativ regelt, sei den Franzosen überlassen. Doch in der Außen- und Europapolitik horchen wir auf: Hier sind wir direkt betroffen. Ob Frankreich sich für oder gegen Europa stellt, interessiert uns sehr. Denn Frankreich braucht Europa, und Europa braucht Frankreich. »Ich werde den europäischen Fiskalpakt neu verhandeln«, verkündet Hollande. Das hört sich in Berlin wie eine Drohung an. Doch vermutlich hat Hollande das nicht außen-, sondern innenpolitisch gemeint. Anti-europäische Rhetorik ist heute in Frankreich ein probates Mittel zum Stimmenfang: Die Franzosen haben die Europaverfassung nicht ratifiziert; europakritische Töne nützen jedem Politiker, der eine Wahl gewinnen will. Das gilt auch für Nicolas Sarkozy, der weiter um seine Wiederwahl kämpft. Auch er schlägt europafeindliche Töne an, um die Stimmen seiner extrem rechten Kontrahentin Marine Le Pen zu gewinnen. Ohne diese Wähler hätte Sarkozy bei der Stichwahl am 6. Mai keine Chance. Und so wechselt er am Ende in das europakritische Lager. Sarkozy - der treue Verbündete der deutschen Kanzlerin - prügelt jetzt auf Europa ein und hofft, mit dieser Strategie im Élysée-Palast bleiben zu dürfen. Anstatt seine europapolitischen Erfolge zu feiern, distanziert er sich von der eigenen positiven Bilanz. Hieraus wird somit erkenntlich, dass beide - Hollande und Sarkozy - nicht Feinde Europas sind, denn ihre aktuelle Europakritik könnte nur ein Wahlkampfmanöver sein. Hollande hat 2005 die Sozialistische Partei dazu gedrängt, für die Ratifizierung der europäischen Verfassung zu stimmen. Er ist mit dem langjährigen EG-Kommissionspräsidenten Jacques Delors befreundet und bejaht die institutionelle Integration Europas in der EU. Nach dem Wahlkampf wird Hollande voraussichtlich wieder zu seinen alten europapolitischen Positionen zurückfinden. Die vollmundige »Neuverhandlung« des Fiskalpaktes könnte dann als ein schlichter Änderungsantrag daherkommen, mit dem Berlin leben kann. Und wahrscheinlich wird auch Sarkozy nach dem Stimmenfang wieder ins europäische Lager zurückkehren. Die französischen Wähler haben jetzt die Qual der Wahl. In Deutschland können wir dem Ergebnis entspannt entgegen sehen. Denn nach dem 6. Mail wird Frankreich in Europa verwurzelt bleiben - mit und ohne Hollande.
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