Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Thema Piratenpartei
Bielefeld (ots)
Die Piratenpartei muss Farbe bekennen. Das orangefarbene Segel unter vollem Wind reicht nicht mehr aus. Kurs und Ziel sind gefragt. Ausgerechnet ihr Erfolg ist aktuell das größte Problem der Freibeuter. Umfragen bescheinigen Sympathie und Vertrauen. Bald jeder Zweite nimmt die Partei ernst, bis zu 13 Prozent würden die Piraten wählen. Dabei wird die bei der Gründung 2006 noch kleine Subkultur aus Hackern und Ballerspielern längst selbst geentert. Neben politisch engagierten Köpfen sammeln sich hier reichlich Fundis, die ihr Ideal von einer für alle offenen Plattform pflegen. Mehrere Fälle falscher Toleranz und Naivität im Umgang mit dem Nationalsozialismus bezeugen, wie verwundbar das unfertige Weltbild der Piraten gegenüber rechtsextremen Anwandlungen noch ist. Was fehlt, ist Haltung. Das basisdemokratische Programm »liquid democracy« ist zwar hochintelligent angelegt, ersetzt aber keinen einzigen Grundwert und schon gar nicht den Kompass zum Navigieren in verseuchten Gewässern mit tückischen Untiefen. Niemand kann genau sagen, ob die erschreckenden Ahnungslosigkeit nicht längst gezielte braune Unterwanderung fördert. Das drohende NPD-Verbot und die NSU-Morde üben enormen politischen und polizeilichen Druck auf die rechtsextreme Szene aus. Neue Schlupfwinkel kämen da gerade recht. Ausgerechnet in dieser Situation fehlt es der Internet-Community an Kraft und Geschlossenheit gegen Rechts. Ein paar Parteiausschlüsse und Shitstorms, also Mobbing und Beleidigungen, halten hartgesottene Rattenfänger kaum ab. Außerdem: Krach mit Wirrköpfen vertreibt nur die Sanften und Wohlmeinenden. Die Schonzeit für die Piraten ist auch realpolitisch vorbei. Gestern zogen sie an der Saar in den zweiten Landtag ein. In drei Wochen können sie zwei weitere Parlamente geentert haben. In NRW dürften sie an die Stelle der Linkspartei treten - zwar ohne Klassenstandpunkt, wohl aber mit einer ähnlichen Wünsch-Dir-Was-Haltung. Einziger Unterschied: Der Forderungen der Linken überstiegen die zulässigen Ausgaben zuletzt um eine Milliarde Euro, die der Piraten liegen um 12 Milliarden über der Bezahlbarkeitsgrenze. Kernforderungen nach der großen Freiheit im Netz, einem Freibrief für Datenklau und konkret gegen Staatstrojaner und die Vorratsdatenspeicherung betreffen die Bundespolitik. Die Landespolitik wirft Fragen auf, deren Antworten in der Partei kaum gestellt, schon gar nicht ausdiskutiert sind. Probleme der etablierten Parteien durch das Aufkreuzen der Piraten in den Parlamenten müssen und werden die begrüßenswerte Rückkehr von Nichtwählern in die Politik kaum aufhalten. Allerdings wird das zwangsläufige und öffentliche Erwachsenwerden der neuen Kräfte nirgendwo mehr Realitätsschocks auslösen als unter den Anhängern der Piratenpartei selbst.
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