Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Parteitag der Piratenpartei
Bielefeld (ots)
Die Piratenpartei wird langsam erwachsen. Vieles steckt noch in den Kinderschuhen, ist wenig professionell, bei anderem hat sie dazugelernt. Aber wie das bei Heranwachsenden so ist: Chaotisch bleiben sie und unberechenbar. Die Schritte in Richtung Professionalität sind klein. Das kann aber auch positive Effekte haben. Der wegen judenfeindlicher Aussagen umstrittene Dietmar Moews wurde beim Parteitag beinahe von der Bühne gefegt. Zahlreiche Piraten verließen bei seiner Rede den Saal. So kann Spontaneität Gutes bewirken. In diesem Falle wurde kurzerhand eine Resolution gegen das Leugnen des Holocausts verabschiedet: ein klares Zeichen gegen Rechts. Da ist das wuselige Chaos beim Piratenparteitag plötzlich nebensächlich. Schnelle Entscheidungen in der Sache mit Signalwirkung stünden so manch anderer Partei auch gut zu Gesicht. Das Festhalten an konsequenter Basisdemokratie könnte der Piratenpartei allerdings beim Thema rechte Tendenzen Grenzen aufzeigen. Jedem Menschen die Chance zur Mitbestimmung zu geben, schließt auch rechtes Gedankengut durch die Hintertür nicht aus. Wie will eine Partei, die Transparenz und Mitbestimmung für alle propagiert, hier wirksam einen Riegel vorschieben? Hier gibt es noch Entwicklungspotenzial. An anderer Stelle ist die Piratenpartei bereits in der Realität der Mitbestimmung angekommen. Jeder Redner musste beim Parteitag mit einer Minute auskommen. Kein Vergleich mehr zum Parteitag in Chemnitz, als unzählige Anträge zum Verfahrensablauf den Tag prägten und ein Parteimitglied ausgeschlossen wurde, weil es einem anderen das Band zur Zulassung vom Arm gerissen hatte. Trotzdem ist es noch ein weiter Weg zum Erwachsensein. Inhaltlich ist die Partei keinen Schritt weitergekommen. Wie sie mit den Rechten von Künstlern umgeht, liefert weiter mehr Frage- denn Ausrufezeichen. Gleiches gilt für Europapolitik und die Bezahlung der Parteifunktionäre. Trotz inhaltlicher Lücken spricht der neue Vorsitzende davon, dass die Partei regierungsfähig sei - ganz schön naiv. Und dennoch umgarnen die anderen Parteien sie schon - zuweilen auffallend unkritisch. Bei der CDU ist die Rede von »interessanter Erscheinung«, bei der SPD von »besseren Liberalen«, bei der FDP von »vorbildhaft« und bei der Linken von »Zusammenarbeit«. Die Angst, Fehler zu machen, ist spürbar. Tatsächlich könnte die Piratenpartei am Ende das Zünglein an der Waage sein - da kann NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) noch so oft sagen, sie könne sich keine Koalition mit ihr vorstellen. Um Rot-Grün durchzusetzen, könnte sie die Piraten ins Boot holen, um sich die CDU als Partner vom Hals zu halten. Aber auch dann würde sich eines nicht ändern: Chaos gehört zur Piratenpartei dazu - auch wenn es am Ende vielleicht ein organisiertes ist.
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