Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum 1. Mai
Bielefeld (ots)
Ein geschenkter Feiertag? Viele Deutsche werden den 1. Mai an diesem Dienstag genießen. Freizeit! Ein Ausflug ins Grüne! Leicht gerät in Vergessenheit, dass dem 1. Mai als Tag der Arbeit eine besondere Bedeutung zukommt. Ein Gedenktag an die Errungenschaften der Arbeiterklasse Ende des 19. Jahrhunderts? Ja, unbedingt. Es ist gut, daran erinnert zu werden, wie Arbeiter in den USA 1886 für den Acht-Stunden-Tag gekämpft haben - eine Forderung, die die Beschäftigten in den Fabriken weltweit aufgegriffen haben. Heute ist der 1. Mai in vielen Ländern gesetzlicher Feiertag. In etlichen Städten wird es wieder Kundgebungen geben. Gewerkschafter werden vollmundige Reden halten - also wie immer? Ein langweiliges Ritual? Wohl kaum. Der 1. Mai 2012 wirft nicht nur ein Schlaglicht auf die Situation der warnstreikenden Arbeiter in Deutschland. Er lenkt den Blick auch auf die Unruhen im südlichen Europa, wo ganz andere, mit Deutschland nicht vergleichbare Probleme auf dem Arbeitsmarkt vorherrschen. In Spanien und Griechenland herrscht Massenarbeitslosigkeit mit nicht absehbaren Folgen für die Gesellschaft. Die Finanz- und Schuldenkrise sowie das hilflose Agieren der EU-Politik könnten soziale Unruhen provozieren, wie es sie das moderne Europa noch nicht erlebt hat. Der Niedergang ganzer Volkswirtschaften ist ein ernst zu nehmendes Problem. Und natürlich ist es dabei die ureigenste Aufgabe der Gewerkschaften, Seite an Seite mit den betroffenen Menschen wie zuletzt in Spanien gegen die Sparbeschlüsse der Politik zu demonstrieren. »Die einseitige Betonung von Sparmaßnahmen in den Euroländern vertieft die Beschäftigungskrise und könnte Europa erneut in die Rezession bringen«, warnt der Direktor der Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen (ILO), Raymond Torres. Seit Beginn der Finanzkrise 2008 seien 50 Millionen Jobs verloren gegangen. In Deutschland geht es dagegen vergleichsweise ruhig zu. Die Arbeitslosenquote sinkt kontinuierlich, nie zuvor waren mit 41 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten so viele Arbeitnehmer in Lohn und Brot. Und doch brodelt es auch hierzulande. Die Arbeitnehmer fordern zu Recht eine angemessene Beteiligung am Wirtschaftsaufschwung und werden dies bei den Mai-Kundgebungen lautstark untermauern. Dabei ist der deutsche Arbeitsmarkt schon lange nicht mehr einheitlich. Neben der Leiharbeit ist es vor allem die Mindestlohndebatte, die von den Gewerkschaften neue Strategien erfordert. Erstmals müssen sie in den Verhandlungsrunden mit den Arbeitnehmern auch Beschäftigte vertreten, die nicht Gewerkschaftsmitglied sind, ohne ihre eigene, Beiträge zahlende Klientel zu verprellen. Für all dies ist der 1. Mai ein symbolischer Tag. Der Einsatz für eine Beschäftigungsgesellschaft, in der sozialer Frieden die Maxime sein sollte, ist indes ein Dauerauftrag - für Gewerkschaften und Politik.
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