Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Energiewende
Bielefeld (ots)
Die Energiewende ist eine Aufgabe von historischer Bedeutung. Bund und Länder sind gleichermaßen gefordert. Energie muss bezahlbar, die Versorgungssicherheit gewährleistet sein. Haben wir das nicht alles schon einmal gehört? Ja, haben wir. Vor genau einem Jahr. Es sollte das große Projekt der Bundeskanzlerin werden. Nach dem Gau von Fukushima verkündete sie den Ausstieg aus der Atomenergie. Zwölf Monate später sind zwar zahlreiche Kernkraftwerke abgestellt. Aber woher in den nächsten Jahren der Strom kommen soll und wieviel die von uns allen benötigte Energie kosten wird - darüber erfahren wir von den Politikern leider nicht viel. Ganz zu schweigen von vorzeigbaren Ergebnissen, zum Beispiel beim Netzausbau, die es nicht gibt. Was haben wir gestern Neues erfahren? Bund und Länder wollen die Energiewende besser koordinieren. Parteiübergreifend müssen alle Ministerpräsidenten an einem Strang ziehen. Und jedes halbe Jahr soll es einen Arbeitskreis geben. Das sind - kurz zusammengefasst - die Absichtserklärungen. Wie bitte? Da sprechen die Bundeskanzlerin und ihre Minister von einer Aufgabe mit historischer Bedeutung für ganz Deutschland und ein Jahr später verständigt man sich auf die Bildung von Arbeitskreisen, während gleichzeitig der Strompreis nur so in die Höhe schießt? Der Energiegipfel hat eines deutlich gemacht: Deutschland hat zwar nach Fukushima die Energiewende eingeleitet, ist aber bei der Umsetzung keinen einzigen Schritt weiter. RWE-Chef Jürgen Großmann hat Recht, wenn er diesen Zustand mit folgenden Worten beschreibt: »Wir reißen das Haus ab, ohne eine neue Bleibe zu haben«. Nach dem Rauswurf von Norbert Röttgen sollte beim Bund-Länder-Treffen im Kanzleramt alles so aussehen, dass es nun voran geht mit der gewaltigen Maßnahme. In Wahrheit hat der Gipfel gezeigt, dass es nur im Schneckentempo vorwärts geht. Das wäre nicht einmal schlimm, wenn nicht gleichzeitig die Energie immer teurer würde und die ersten Industrieunternehmen Deutschland bereits verlassen hätten. Was passiert eigentlich, wenn plötzlich der Strom ausfällt, wie es uns in kalten Wintern drohen könnte? Sind dann immer noch 70 Prozent für die Energiewende? Das Problem ist, dass alle den Ausstieg aus der Atomenergie wollen. Zu Recht. Aber sind wir auch bereit, die Folgen dafür zu tragen? Neue Hochspannungsleitungen über unseren Häusern, steigende Strompreise, neue Windparks, eine Pflicht-Gebäudesanierung? Energiewende ja, aber nicht bei mir? Die Politik muss ihre Hausaufgaben endlich machen. Und uns sollte klar sein, was die Energiewende tatsächlich bedeutet. Und zwar mit allen Konsequenzen.
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