Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Thema Ägypten
Bielefeld (ots)
Offiziell ist Ägypten noch eine Demokratie. Doch inzwischen hat der Militärrat eine Art Notstandsgesetz erlassen, die Vollmachten des Parlaments auf das Militär übertragen, die Haushaltsaufsicht an sich gerissen und die Macht des Präsidenten beschnitten. Diese selbstherrliche Ermächtigung gleicht einem Militärputsch. Der demokratische Wandel gerät ins Stocken und ein Machtkampf zwischen Muslimbrüdern und Militärs zeichnet sich ab. Mohammed Mursi, Präsidentschaftskandidat der Muslimbrüder, darf sich nicht zu früh freuen. Er hat zwar die Wahl knapp gewonnen, aber die Militärs haben dem Präsidenten die Befugnisse als oberster Befehlshaber der Streitkräfte entzogen. Sollte Mursi Präsident werden, müsste er auch die gesetzgebenden Rechte der Militärs akzeptieren. Ägypten wäre faktisch eine Militärdiktatur - auch wenn der Präsident demokratisch gewählt wurde. Das wäre ein schwerer Rückschlag für die Revolution des arabischen Frühlings. Dennoch ist die ägyptische Demokratie noch nicht verloren: Die Muslimbrüder und einige Demokraten haben die Dekrete der Militärs für ungültig erklärt. Es grenzt an Ironie, dass ausgerechnet die Muslimbrüder die Demokratie retten könnten. Zum Glück ist ihr Präsidentschaftskandidat kein Radikaler. Er nennt sich einen »Sohn der Revolution«, hat in den USA studiert, verspricht Freiheit und Demokratie und will alle Ägypter vertreten - auch die koptischen Christen. Das weckt Hoffnungen auf die Fortsetzung des demokratischen Prozesses. Dennoch ist Ägyptens Demokratie in Gefahr: Der Militärrat kann das Kriegsrecht wieder einführen. Zwar haben die Militärs die zukünftige Machtübergabe bis Ende Juni versprochen, doch offen bleibt, wieviel Macht tatsächlich übertragen wird. Bis zum vollständigen Machtverzicht könnten Jahre verstreichen. Hier kann man nur hoffen, dass die Ägypter geduldig, beharrlich und optimistisch bleiben. Nach 50 Jahren Militärdiktatur lässt sich die Freiheit nicht über Nacht erringen. Revolutionen verlaufen selten geradlinig: Die Französische Revolution gebar den Militärdiktator Napoleon, Stalin folgte auf Lenin, und Mao Tse-tungs Erben regieren China mit eiserner Faust. Der demokratische und freiheitliche Wandel kommt oft langsam. Selbst Deutschland, das 1918 eine Revolution auslöste, hat nur auf Umwegen zur Demokratie gefunden. Es wäre somit verfrüht, den ägyptischen Umbruch vorzeitig für gescheitert zu erklären. Ägypten hat immerhin den Diktator Mubarak verjagt, den demokratischen Weg eingeschlagen und einen Präsidenten gewählt. Nun muss eine neue Verfassung verabschiedet werden. Es überrascht dabei nicht, dass die machtgewöhnten Militärs möglichst lange am Ruder bleiben. Ihr Versprechen, für »Stabilität« sorgen zu wollen, bleibt verlockend. Doch langfristig sind Freiheit und Demokratie nicht aufzuhalten. Auch nicht in Ägypten.
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