Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Thema Inlandsgeheimdienst
Bielefeld (ots)
Der Präsident des Verfassungsschutzes Heinz Fromm hat gestern um Entlassung gebeten. Das war klug. Anderenfalls hätte ihn eine Welle von Rücktrittsforderungen erfasst, zu der er selbst mit einem Spiegel-Interview beigetragen hat. Fromm übernimmt nicht nur die Verantwortung dafür, dass dringend benötigte Akten vernichtet wurden. Der Chef des deutschen Inlandsgeheimdienstes gab auch zu, dass die Aktenführung in seinem Haus bewusst lückenhaft ist. Damit konnten seine Mitarbeiter Kontrollen durch Dritte raffiniert vermeiden. Das lässt tief blicken, das ist unentschuldbar. Die sofortige Annahme des Rücktrittsgesuchs durch Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) ist mehr als folgerichtig. Die Frage bleibt, ob der Fehler damit behoben ist. Klare Antwort: ist er nicht. Die Probleme beginnen jetzt erst. Über allem prangt die peinliche Megapanne, dass die Neonazi-Mordserie der Zwickauer Terrorzelle nicht erkannt wurde - und das trotz der Beteiligung des Bundesamtes für den Verfassungsschutz, mehrerer Landesämter für den Verfassungsschutz sowie der Polizeibehörden von Bund und Ländern. Manche Experten waren ganz nah dran, aber sie haben den »Nationalsozialistischen Untergrund« (NSU) nicht richtig einzuschätzen gewusst und schon gar nicht in den Griff bekommen. Die parlamentarische Aufklärung hat bislang nichts Handfestes ergeben. Jedem Aktenstück in den Untersuchungsausschüssen haftet jetzt auch noch der Zweifel an, ob es vollständig ist. Niemand vermag zu sagen, ob etwas bewusst vorenthalten wird oder gar aus Dummheit verschlampt wurde. Keine gute Grundlage für die fällige Neubewertung des gesamten Staatsschutzes in Deutschland. Denn eine Strukturreform an Haupt und Gliedern ist unumgänglich. Der unter erheblichem Zugzwang vollzogene - formal freiwillige - Rücktritt des Verfassungsschutzpräsidenten ehrt den Amtsinhaber, aber zur Aufklärung der unübersichtlichen Vorgänge trägt Fromm mit seiner Entscheidung nicht bei. Außerdem: Auch der Frühpensionär wird noch sehr oft vor Ausschüssen und Gremien erscheinen. Fromm tritt einen ausgesprochen unruhigen Vorruhestand an. Solange die politisch Verantwortlichen aus der inzwischen Mörder-Jahrzehnt genannten Zeit nicht alle ehrlich und umfassend ausgesagt haben, bleibt es beim Stochern im Dunkeln. Fromms Rückzug könnte es sogar anderen erleichtern, in der Deckung zu bleiben. Selbst die Bundeskanzlerin muss sich um das Ansehen und die Qualität ihres Dienstes sorgen. Sie hat die Angehörigen der Opfer der Mordserie im Februar um Entschuldigung für falsche Verdächtigungen durch die Ermittler gebeten. Jeder muss mit dem Kopf schütteln, wenn unsere Schlapphüte unauffällig so weiter machten, als wenn nichts gewesen wäre. Aber das können sie ja am besten.
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