Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Thema Künstler in der Krise
Bielefeld (ots)
Wenn aus dem Hobbymusiker ein Berufsmusiker wird, der davon aber weder sich noch seine Familie ernähren kann - verfliegt dann die Leidenschaft? Viele Künstler, die es nicht an die Spitze schaffen, verdienen nicht genug, um davon leben zu können. Ein Engagement hier, ein Kurzzeit-Job dort: Mag die einzelne Gage auch ansehnlich erscheinen, so ist sie für das Einkommen des Künstlers nicht repräsentativ. Laut Künstlersozialkasse hat der durchschnittliche deutsche Musiker im Jahr 2011 nur 11 700 Euro verdient. Dass sich daraus Existenzängste ergeben, überrascht nicht. Der Paderborner Musiker Eric Gressel zum Beispiel will womöglich seine Bassgitarre gegen einen normalen Job tauschen - und sei es als ein Rädchen im großen Getriebe der Musikindustrie. Der Mann ist kein Einzelfall, und das wirft eine existentielle Frage auf: Geht die Vielfalt unserer Kultur verloren, wenn kreative Köpfe ihr Talent mangels Perspektive nicht mehr auszuschöpfen wagen? Ein Musiker ist mit nur 9,9 Prozent am Verkaufserlös seines Albums beteiligt, was bei 15,90 Euro Ladenpreis auf mickerige 1,58 Euro hinausläuft. Sofern er die Stücke selbst geschrieben hat, kommen 3,7 Prozent Autorenanteil hinzu. Die Summe aber, die das Label für Vermarktung & Co. vorgestreckt hat, muss aus dem Künstleranteil beglichen werden. Wer ferner berücksichtigt, dass Downloads aus dem Internet dem CD-Verkauf seit 15 Jahren sinkende Umsätze einbrocken, der merkt schnell: So viele Alben kann Otto Normalkünstler gar nicht produzieren, dass es für den Unterhalt einer Familie reichen würde. Also werden Alben nur noch produziert, um sie auf Tour zu promoten. Längst sind es Ticketverkauf und Fanartikel, die den Musikern einen minimalen Standard sichern. In den meisten Berufen können Menschen von ihrer Hände (und Köpfe) Arbeit leben. Warum sollte das bei Musikern anders sein? Es ist klar, was hier stinkt: Die freien Musikdateien sind es, die den Niedergang des Tonträgers eingeläutet haben, hier muss die Lösung des Problems liegen. Musik hören - ja, dafür zahlen - nein, danke?! Dateien herunterzuladen, wenn niemand guckt, soll sich vom Klau einer Flasche Wodka aus dem Supermarkt unterscheiden? Der Unterschied: Beim Wodka weiß man, was man tut, bei der Musikdatei aber fehlt das Unrechtsbewusstsein. Ich zahle den Internet-Anschluss - also darf ich auch alles im Netz nutzen . . . Wohl kaum. Der Kreative muss, wie jeder andere, angemessen bezahlt werden. Der Fall des Paderborner Bassisten zeigt: Es ist bereits fünf Minuten nach zwölf. Die Freigabe kreativer Inhalte im Netz, die der Gesetzgeber immer noch nicht geregelt hat, führt in dem Verbund aus Künstlern, Agenten und Plattenfirmen zu Brüchen, die ganze Lebensentwürfe scheitern lassen. Den schleichenden Tod seiner schöpferischen Elite aber kann sich keine Kulturnation leisten.
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