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Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Hartz IV

Bielefeld (ots)

Darüber, ob Hartz IV nun ein Teufelswerk sozialer Kälte oder die beste Arbeitsmarktreform aller Zeiten ist, lässt sich lange streiten. Beides ist falsch. Wie so oft liegt auch hier die Wahrheit irgendwo dazwischen. Da ist die alleinerziehende Mutter mit zwei Kleinkindern, die von Hartz IV kaum leben kann. Und da ist der Schwarzarbeiter, der den Sozialstaat jahrelang ausnutzt, indem er »Stütze« kassiert und nebenbei ordentlich dazuverdient. Unstrittig ist: Hartz IV hat Deutschland verändert und die Politiker mutloser gemacht. Allein schon die Tatsache, dass es ausgerechnet eine sozialdemokratisch geführte Bundesregierung war, die das höchst umstrittene Projekt für mehr Beschäftigung auf den Weg gebracht hat, ist bemerkenswert und heute undenkbar. Die Reform - nicht zu verwechseln mit den Reförmchen, die uns die Politiker heute voller Stolz präsentieren - hätte eigentlich Schröder IV heißen müssen. Im Gegensatz zu vielen Politikern, die heute Verantwortung tragen, hatte der damalige Kanzler den Mut und auch die Vision, Deutschland nachhaltig umzubauen. Sein ehrgeiziger Plan, die Arbeitslosenzahl von damals vier Millionen innerhalb von vier Jahren halbieren zu wollen, ging zwar nicht auf. Aber er hatte wenigstens einen Plan. Heute unvorstellbar ist, dass Hartz IV trotz massiver Widerstände durchgesetzt wurde. Auch Massendemonstrationen, Klagewellen an den deutschen Sozialgerichten, der Druck von Gewerkschaften und Sozialverbänden, die Spaltung der SPD und nicht zuletzt die Gründung der Linkspartei änderten daran nichts. Heute würde wahrscheinlich schon eine einzige Schlagzeile in der »Bild«-Zeitung reichen, und das Projekt wäre beerdigt. Trotzdem ist Hartz IV nicht ohne Folgen geblieben: Schröder verlor Parteivorsitz und Kanzlerschaft. Der Riss zwischen SPD und Gewerkschaften ist bis heute nicht gekittet. Und die K-Frage wäre schon längst zugunsten Peer Steinbrücks entschieden. Aber ein »Schröderianer« ist - auch wegen des Hartz IV-Traumas - noch immer nicht durchsetzbar. Ganz gleich, ob Hartz IV als mustergültiges Projekt in die Geschichte der Bundesrepublik eingehen oder als eine Rasur des Sozialstaates betrachtet wird - die Reform hat doch eines bewirkt: Wir haben uns mit der Frage beschäftigt, was uns der Sozialstaat wert ist. Und: Wieviel Sozialstaat wir uns künftig leisten wollen und können. Diese Diskussion muss fortgesetzt werden. Die wohl mutigste Reform der vergangenen Jahre zeigt: Nachhaltige Veränderungen sind möglich in Deutschland. Dazu braucht es Willen und Kraft. Und Politiker mit Rückgrat.

Pressekontakt:

Westfalen-Blatt
Nachrichtenleiter
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 - 585261

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