Westfalen-Blatt: zum Thema Arbeit:
Bielefeld (ots)
Es ist noch nicht einmal zehn Jahre her, da haben sich Hinterbänkler und Verbandsvertreter darin überboten, Vorschläge zu einer Verlängerung der Arbeitszeit zu machen. Beliebt waren Verkürzung der Urlaubszeit und die Streichung von Feiertagen. Zum Beleg für das angebliche Freizeitparadies Deutschland wurden Statistiken vorgelegt, die glauben machten, die Deutschen seien die faulsten Säcke Europas. Es schien, als arbeiteten sie nur noch, um die Pausen zwischen ihren vielen freien Tagen zu füllen. Die Statistiken haben sich verändert. Aus faulen Säcken sind Workaholics geworden. Geblieben ist nebenbei für Deutschland die Rolle des Buhmanns. Früher wurde der Kanzler gescholten, weil die Lokomotive der europäischen Volkswirtschaften nicht mehr unter Dampf gestanden hat. Heute muss sich die Kanzlerin sagen lassen, dass Nachbarländer durch den Dampf, den deutsche Hersteller erzeugen, nicht mehr bis zur Spitze sehen können. Abgesehen davon, dass hinter jeder Statistik ein Auftraggeber steht, der mit dem Ergebnis etwas bezweckt, lässt sich speziell das Thema Arbeit kaum noch in einfachen Zahlen zusammenfassen. Der Beruf ist heute weniger denn je nur Mittel um zu leben. Er ist für viele das Leben selbst. In ihr finden sie Anerkennung und soziale Kontakte. Gäbe es die Arbeit nicht, müsste sie erfunden werden. Diese findet man in großer Zahl in allen Arbeitsstufen, unter Gärtnern und Verkäufen genauso wie unter Managern und Professoren. Sogar viele, die im Biergarten über ihren Job schimpfen, wollen ihn um Himmels willen nicht missen. Statistiken erfassen nur die Arbeitszeit, die tariflich festgelegt und protokolliert wird. Vielleicht können Umfragen noch herausfinden, ob jemand zu Hause weiter über betriebliche Angelegenheiten nachsinnt, ob er für den Chef auch außerhalb der Arbeitszeit erreichbar ist und ob er Fachliteratur mit in den Urlaub nimmt. Schwer erfassen lässt sich, ob er es freiwillig und gern macht. Klar ist nur, dass Übertreibung, auch wenn sie aus Lust geschieht, oft zum Burnout führt. Arbeitnehmer haben heute ein anderes Verhältnis zum Arbeitgeber als noch im vergangenen Jahrhundert. Der Gegensatz zwischen Arbeit und Kapital ist aufgeweicht. Aus dem »Die da oben« und »Wir da unten« ist ein »Wir im Betrieb« geworden. Nicht überall. Aber diese Firmen, in denen die Zusammenarbeit so funktioniert, setzen sich durch. Beide Seiten sind aufeinander zugegangen: Die Arbeitnehmer anfangs vielleicht aus der berechtigten Furcht, bei einer Insolvenz arbeitslos zu werden und ihre Lebensgrundlage zu verlieren. Die Arbeitgeber, indem sie in der vergangenen Krise ihre Stammbelegschaft - unter Zuhilfenahme von Leiharbeit und Kurzarbeit - bei der Stange hielten. Der demographische Wandel und Facharbeitermangel verstärken den Trend. Sie werden auch dazu führen, dass negative Auswüchse wie Ausbeutung von Praktikanten und Leiharbeitern und extreme Niedriglöhne hoffentlich bald der Vergangenheit angehören.
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