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Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Ägypten

Bielefeld (ots)

Ägypten steht an der Kreuzung. Ein Weg führt in die Freiheit der Demokratie, ein anderer in die islamistische Diktatur, ein dritter ins Chaos. Der Verfassungsprozess, der das größte und militärisch stärkste arabische Land demokratisch ordnen und einigen sollte, droht diktatorisch zu scheitern und das Land zu spalten. Ganz gleich, ob das Referendum morgen stattfindet oder nicht, Präsident Mohammed Mursi hat mit seinem Selbstermächtigungsgesetz den größten Fehler begangen, der in einem revolutionär aufgeheizten Volk möglich ist: Er hat die Glaubwürdigkeit des Revolutionsführers verspielt. Die liberalen, demokratisch gesinnten Teile der Bevölkerung trauen ihm nicht mehr, sie fühlen sich von ihm und den Muslimbrüdern hintergangen. Wer den Verfassungsentwurf liest, der kann das leicht nachvollziehen. In Artikel 219 sind die Prinzipien der Scharia dargelegt, die »die Hauptquelle jeder Gesetzgebung bildet«. Dazu gehört wie seit 1400 Jahren die Todesstrafe für Ehebruch und Gotteslästerung, das Auspeitschen, Steinigen und Handabhacken. Mit Menschenrechten, der Hauptquelle demokratischer Staatenbildung, und mit Meinungsfreiheit hat das nichts mehr zu tun. Diesen Weg will der liberale Teil des ägyptischen Volkes nicht gehen. Und wenn die Straße, das Volk, außer Kontrolle gerät, dann ist das Ergebnis offen. Denn das Volk ist, wie der französische Diplomat und Dichter Alphonse de Lamartine nach einigen revolutionären Erfahrungen schrieb, »eine elementare Urgewalt«. Man kann davon ausgehen, dass es auch in Ägypten nicht mehr ohne Zugeständnisse zu bändigen sein wird. Das umso mehr, als die Armee nicht in den Konflikt eingreifen will - er könnte sie zerreißen. Mursi versucht, die Armee mit Privilegien und Polizeivollmachten auf seine Seite zu ziehen. Aber das Denken der Muslimbrüder ist im Kern totalitär, die Armee würde über kurz oder lang zum Dolch des Propheten. Ob sie das will? In dieser Situation kommt dem Westen, insbesondere Washington, vielleicht eine entscheidende Rolle zu. Präsident Barack Obama hat auf die Muslimbrüder als künftigen Ordnungsfaktor in der Region gesetzt. Die Bruderschaft ist der Tat in Ägypten gegründet worden und verfügt über Netze in allen arabischen Ländern. Aber ihr Einfluss wird überschätzt, und der Einfluss des Internets, insbesondere bei den jungen Leuten mit ihren Handys und Laptops, unterschätzt. Information wirkt auf Dauer befreiend. Das geschlossene Denken der Muslimbrüder führt in die Diktatur, das offene der Informationsgesellschaft sucht die Demokratie. Das schmeckt vielen arabischen Potentaten nicht, wie eine Konferenz in Dubai jetzt belegt, auf der mehr staatliche Kontrolle über das Internet gefordert wird. Aber vor dieser Alternative steht Ägypten und steht, mittelfristig, auch die arabische Welt. Das muss man Mursi und den Emiren, Prinzen und Königen sagen.

Pressekontakt:

Westfalen-Blatt
Nachrichtenleiter
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 - 585261

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