Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Thema Missbrauchsaufklärung
Bielefeld (ots)
Es sollte die weltweit umfassendste Untersuchung des Missbrauchs Schutzbefohlener durch katholische Priester werden. Jetzt steht die vermeintliche Aufklärung als Verschlusssache und Zensurversuch am Pranger. Die gewünschte unabhängige Offenlegung des dunkelsten Kapitels moderner Kirchengeschichte ist vorerst krachend gescheitert. Der beredte und hoch angesehene Kriminologe Christian Pfeiffer hatte 2011 »Tiefenbohrungen in Kirchenarchiven« angekündigt. Der Trierer Diözesan-Bischof Stephan Ackermann versprach ehrliches Aufklärungsinteresse: Mithilfe unabhängiger Experten wolle die Deutsche Bischofskonferenz besser verstehen, wie es zu sexuellem Missbrauch durch Kirchenmitarbeiter hatte kommen können. Und was zu dessen Verhinderung künftig getan werden kann. Die Antwort wird jetzt noch länger auf sich warten lassen. Wen auch immer die Kirche als nächstes beauftragt, die neue Kommission wird nur noch als zweitrangig betrachtet werden. Außerdem: Professor Pfeiffer, medial ausgefuchst wie er ist, hat prompt eine eigene Untersuchung aufgelegt. Am Ende wird es konkurrierende Gutachten mit sich vermutlich widersprechenden Erkenntnissen geben. Schlimmer hätte es nicht kommen können, urteilen PR-Profis. Aber um die geht es nicht. Es geht darum, dass 100 000 Personalakten aus 65 Jahren gefilzt werden. Das Netzwerk katholischer Priester wehrt sich gegen einen »Generalverdacht«. Hier werde eine ganze Personengruppe in Misskredit gebracht, klagen sie. Dazu zweierlei: Erstens: Die Netzwerker haben Recht. Ihr Argument wird auch dadurch nicht weniger stichhaltig, dass sie als besonders konservativ gelten. Zweitens: Generalverdacht und Misskredit bestanden allerdings von dem Moment an, als 2010 ein mutiger Kirchenmann mit Fällen am Berliner Canisius-Kolleg eine Lawine losbrach. Deren Zerstörungswucht wirkt bis zur Stunde nach. Jetzt, da das Tischtuch zerschnitten ist, bleibt die nüchterne Erkenntnis, dass die Bischöfe sich und der Öffentlichkeit zu viel versprochen haben. Datenschutz und Privatsphäre verbieten jedem Arbeitgeber die Preisgabe von Personalakten für die Forschung. Wer zwar anonymisierte, aber letztlich doch zuordnungsfähige Daten freigibt, der richtet Schaden an. Das trifft nicht nur Täter, sondern auch Opfer und Unbeteiligte. Im übrigen haben die Bischöfe nie zuvor soviel getan, um Unrecht soweit möglich zu lindern. 1200 Missbrauchte haben eine Entschädigung beantragt und erhalten. Den Opfern wurde lange verweigerte Würde wenigstens etwas zuteil. Die breite Fahndung nach unentdeckten Fällen von Missbrauch wird weitergehen. Ganz klar, die Ausgangslage ist und bleibt dabei der Generalverdacht gegen alle katholischen Kleriker. Er dürfte nach dem aktuellen Desaster nie mehr ganz ausgeräumt werden können.
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