Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur gesäuberten Sprache
Bielefeld (ots)
»Es war Fastnacht im Dorf«, so liest man, und so strömten die beiden Negerlein, die Menschenfresser, Eskimos und Hottentotten zusammen. Eigentlich wollten sie gemeinsam Spaß haben, aber zwei werden jetzt aussortiert: die beiden Negerlein müssen gehen. Otfried Preußler hat sich diese niedliche Szene einfallen lassen, im Kinderbuch »Die kleine Hexe«. Nun gibt es Leute, die finden das nicht niedlich, die passen auf, dass wir nichts Falsches sagen. Und »Neger« sagt man nicht. Also werden in der Neuausgabe die »Negerlein« gestrichen. Der »Negerkönig« aus »Pippi Langstrumpf« musste schon vorher abdanken. Preußlers »Negerlein« wurde auch zum Verhängnis, dass sie ihre Gesichter offenbar mit Schuhwichse färbten. »Schuhwichse« soll ebenfalls ein Wort sein, das niemand mehr versteht und deshalb gestrichen gehört, behauptet Klaus Willberg vom Thienemann-Verlag, in dem die »Kleine Hexe« erscheint. Woher die Wut? Woher rührt der Furor, mit dem da in Texten herumgefuhrwerkt wird? Als vor Jahr und Tag die französische Nationalbibliothek eine Ausstellung mit einem Sartre-Plakat bewarb, retuschierte man dem Philosophen die Zigarette weg. Damals meldeten sich - grenzüberschreitend! - erstmals bedächtige (Nach-)Denker zu Wort und sprachen von Zensur. Ihre These: In einer kompliziert gewordenen Welt, in der nach dem Dafürhalten vieler Bürger anonyme (»globale«) Mächte das Geschick bestimmen, das der Bürger ohnmächtig hinzunehmen hat, gedeihen Allmachtphantasien. Wo jedoch alle politisch relevanten Themen von ebenjenen anonymen Kräften entschieden werden, kann der Bürger nurmehr auf Nebenkriegsschauplätzen aktiv werden. Zuerst wird das Rauchen verboten. Hat funktioniert. Dann sind die Risikosportler an der Reihe, die man bereits mehrfach an die Leine legen wollte. Übergewichtige. Fleischesser. Und die Sprache sowieso. Wo die Messlatte für ausdrucksstarkes Deutsch bei 140 Zeichen (Twitter) liegt, bleibt nicht nur die Schuhwichse auf der Strecke. Längst werden alte Texte, Vorstellungswelten von höchster dichterischer Brillanz, auf Klippschulniveau heruntergedimmt. Lesen Sie Victor Hugos »Nôtre Dame de Paris«. Was da alles drinsteht im Original, in jenem Gesellschafts- und Kulturpanorama des 19. Jahrhunderts, da gehen Ihnen die Augen über! Oder nein, eher nicht. Denn wahrscheinlich fällt Ihnen das kastrierte Büchlein in die Hand, das die Sprachwächter übriggelassen haben: das verkitschte Dramolett eines körperlich anders Qualifizierten und einer Sinti-Roma-Dame. Dass Victor Hugo den Vereinfachern in die Hände fiel, hat sein grandioses Panorama nicht überlebt. Wer ohne Sinn und Verstand an der Sprache herumfummelt, dem sei das Märchen »Vom Fischer un syner Fru« empfohlen: Da wollte auch jemand viel zu viel - und saß am Ende »all weller in'n Pißputt«.
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