Westfalen-Blatt: das Westfalen-Blatt (Bielefeld) zum Thema Energiewende:
Bielefeld (ots)
Erst der Schock, dann die Euphorie und schließlich das Ankommen in der Wirklichkeit. Sowohl in der Bevölkerung als auch bei vielen Politikern löste die Atomkatastrophe in Japan vor zwei Jahren hierzulande eine Kehrtwende beim Energiethema aus. Atomkraft? Nein, danke! Das seit Mitte der 70er Jahre bekannte Motto der Anti-Atomkraft-Bewegung war plötzlich en vogue. Der Konsens über den Ausstieg ging quer durch alle Parteien. Fast hätte man das Logo mit der lachend-roten Sonne auf gelbem Hintergrund im Bundestag aufhängen können. Doch der Jubel über die entdeckte Gemeinsamkeit hatte augenscheinlich auch die Sicht auf die Realitäten vernebelt. Atommeiler wurden trotz gerade erteilter Verlängerung der Laufzeiten stillgelegt, dem Ausbau alternativer Energien vollste Unterstützung zugesagt. Inzwischen ist längst klar, dass statt des angestrebten Gemeinschaftswerks eine Flotte von unterschiedlichen Interessenvertretern entstanden ist, die völlig unterschiedliche Ziele verfolgt. Dabei ist noch zu verstehen, dass die Industrie alles daran setzt, Stromrabatte herauszuschlagen und Wind- sowie Solarbranche darum kämpfen, die Förderung auf einem möglichst hohen Niveau zu halten. Doch wenn auch die einzelnen Ressorts innerhalb der Regierung eine derartige Uneinigkeit über das Erreichen der Ziele erkennen lassen, wie es Wirtschafts- und Umweltministerium demonstrieren, dann ist der Unmut in der Bevölkerung voll und ganz zu verstehen. Das gestrige Spitzentreffen zwischen Regierung und Verbänden trägt nicht zur Entspannung bei. Angela Merkel spricht von einem »langen Prozess mit vielen Einzelschritten«. Es gebe nun eine feste Arbeitsstruktur. Mit den Ministerpräsidenten solle es halbjährliche Treffen geben, mit Wirtschaft und Umweltverbänden jährliche Beratungen. Äußerungen, die deutlich machen, wie schwer und langwierig der Weg zur Energiewende noch sein wird. Dass er teuer ist, da beißt die Maus keinen Faden ab. Wer die Rechnung letztlich bezahlt, darüber wird heftig gestritten. Die Wirtschaft warnt vor zu hohen Belastungen, muss sie aber vermutlich hinnehmen. Rabatte sollen gekürzt werden, so neue Pläne. Zudem prüft die EU-Kommission die Rechtmäßigkeit solcher Beihilfen. Private Haushalte könnten dann ein wenig entlastet werden. Selbst wenn sich offiziell alle Beteiligten ausdrücklich zur Energiewende bekennen - unter diesen Vorzeichen darf sich niemand wundern, wenn der Ruf nach Atomkraft wieder lauter wird. Fukushima hin, Tschernobyl her. Gerade auch vor dem Hintergrund, dass schon zwei Jahre nach der Katastrophe in Japan die ersten Dörfer am Rande der Evakuierungszone im Umkreis von 20 Kilometern wieder für bewohnbar erklärt werden. Zudem spricht die Weltgesundheitsorganisation nur von einem leicht erhöhten Krebsrisiko. Na, dann war und ist ja alles nicht so schlimm. . .
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