Westfalen-Blatt: das Westfalen-Blatt (Bielefeld) zur Papstwahl:
Bielefeld (ots)
Der neue Papst hat den radikalen Bettelmönch Franz von Assisi zu seinem Patron gewählt. Damit hat Franziskus Zeichen gesetzt. Ansonsten kennen wir bislang nur seinen bescheidenen Auftritt, seine fromme Predigt von gestern aber noch keine Positionierung als Papst. Erst seine schon bald fälligen Personalentscheidungen werden zeigen, wohin die Reise geht. Dann wird deutlicher, wie entschieden er Probleme anfasst wie Verrat (Vatileaks), Vatikanbank (Geldwäsche-Vorwurf), Missbrauch sowie die »deutschen Fragen« Priestertum, Zölibat und Ökumene. Die seit gestern zuhauf vorgetragenen Vorschusslorbeeren und wohlwollenden Ratschläge sind im Grunde eine Abbild der extrem hohen Erwartungen an das neue Kirchenoberhaupt. Für die Katholische Kirche in Deutschland lassen sich einige vorsichtige, möglicherweise aber auch zu weit reichende Thesen aufstellen: 1. Rom ist künftig weiter weg. Mit der Wahl eines Südamerikaners und der nunmehr dritten Entscheidung gegen einen Italiener wandelt sich der Blick auf das alte Europa. 2. Die oft unterstellte, in manchen Fälle auch genutzte Sonderbeziehung zu Benedikt XVI. macht die deutsche Bischofskonferenz auch freier. Der »Schatten Benedikts« liegt nicht mehr auf den Handlungen und Aussagen deutscher Oberhirten. Beispiel: Kölns Kardinal Meisner nutzte nach der Abweisung einer vergewaltigten Frau an zwei katholischen Kliniken seinen kurzen Draht nach Rom, bevor er eine relativ mutige Entscheidung traf. 3. Am deutlichsten könnte die neue Distanz, möglicherweise aber auch größere Unabhängigkeit in Fragen der Ökumene werden. Das 2017 anstehende 500. Reformationsjubiläum verlangt nach Gesten und Worten seitens der katholischen Kirche. Formal ist Martin Luther immer noch exkommuniziert. Die schmerzende Wunde lag schon 2011 schwer auf dem Besuch des deutschen Papstes an den Thüringer Stätten der Reformation. Wenn 2017 nicht mehr das Oberhaupt der römisch-katholischen Weltkirche gefragt ist, sondern nur noch der bald zu wählende jüngere Nachfolger an der Spitze der deutschen Bischofskonferenz, dürfte diese Hürde leichter zu nehmen sein. 4. Ganz radikale Denker aus zutiefst katholischem Milieu deuten noch mehr Möglichkeiten an. Abtprimas Notker Wolf etwa verweist auf die Sonderrolle der englischen Staatskirche, der sich Rom zuletzt angenähert hat. Ob sich hier dem deutschen Protestantismus ein Hintertürchen öffnet, ist schwer zu sagen. Noch diffiziler dürfte die Frage werden, ob Martin Luthers Erben und Sachwalter diesen Weg selbst für gangbar halten. Kurzum: Wir wissen noch wenig über Franziskus' neuen Kurs. Aber der Wechsel im Vatikan beflügelt das Nachdenken über die künftige katholische Kirche in der Welt und in Deutschland.
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