Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Regierungsbildung in Italien
Bielefeld (ots)
Enrico Letta ist der Letzte - in jeder Beziehung. Seine Berufung zum Regierungschef ist die finale Chance des soeben auf sieben Jahre wiedergewählten 87-jährigen Staatspräsidenten. Giorgio Napolitano musste einen Vormann zu finden, der eine regierungsfähige Mehrheit zusammenstellen kann. Einen anderen im nahezu geschlossenen Kreis italienischer Langzeitpolitiker gab es nicht mehr. Der ehemalige Christ- und heutige Sozialdemokrat Letta ist als Vize der Partito Democratico (PD) auch deren letzter infrage kommender Kandidat mit Kontakten in andere Lager. Denn: PD-Chef Pierluigi Barsani hatte hingeschmissen, weil ihn die eigene Leute bei den verpatzten Präsidentenwahlen ins Messer laufen ließen. Lettas Auftrag zur Bildung einer großen Koalition ist wiederum die letzte Chance, die das parlamentarische System in Italien noch hat, aus sich selbst heraus eine neue Führung zu installieren. Staatsräson, ein rares Gut in Rom, ist gefragt. Die wiederum verlangt aber vielen Abgeordneten das Allerletzte, nämlich mit Silvio Berlusconi zu kooperieren. Ohne ein Bündnis mit dessen Popolo della Libertà (Volk der Freiheit) und der Zentrumspartei reicht es nicht für Lettas Linke. Die ist die stärkste Gruppe im Bunde - bislang jedenfalls. Die Zeichen bei der PD stehen auf Auflösung. Das wiederum ließe mittelfristig die Berlusconi-Leute ganz ohne Wahlen zur stärksten Gruppe aufwachsen. Die über Jahrzehnte übliche Aneinanderreihung von einer Regierungskrise an die andere könnte schon bald ihre Fortsetzung finden. Das Versagen der gesamten politischen Klasse auf dem Regierungshügel Quirinale ist in den vergangenen vier Monaten wie unter einem Brennglas deutlich geworden. Soviel Zeit ist verschenkt worden seit dem Zusammenbruch der letzten funktionsfähigen Regierung, die ohnehin schon ein Konstrukt aus Technokraten war. Dabei sind die Aufgaben gigantisch, die dringend angegegangen werden müssten:
- Italien hat eine enormes Schuldenproblem. Mit jedem Tag des Nichtregierens kommt das Land Verhältnissen wie in Spanien und Griechenland näher. - Zugleich braucht die Wirtschaft dringend Impulse, sprich: frisches Geld. Die noch drittgrößte Volkswirtschaft auf Euro-Basis muss raus aus dem Minuswachstum. - Das Land braucht dringend Reformen zur Bewältigung so ziemlich aller politischen Übel der Neuzeit. Von überbordender Bürokratie bis zur ineffizienten Justiz, von sich selbst widersprechenden Verfassungsgesetzen bis zum totalen Vertrauensverlust im Volk reichen die kaum noch lösbaren Probleme.
Allerdings: Wenn überhaupt, dann ist einzig eine große Koalition in der Lage die weitreichenden und schmerzhaften Konsequenzen für Italiens Zukunft zu ziehen. Das Vertrauen darin, dass das gelingt ist nicht allzu groß, aber Italien hat nur diese Parteien und und diese Politiker.
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