Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Piratenpartei
Bielefeld (ots)
Es klingt wie eine Geschichte aus längst vergangener Zeit: Damals, im September 2011, schien mit dem überraschenden Einzug der Piraten ins Berliner Abgeordnetenhaus eine neue politische Epoche zu beginnen. Eine ganz unkonventionelle, durch und durch basisdemokratische Parteiarbeit galt plötzlich als möglich. Die halbe Republik war elektrisiert und viele Journalisten vorneweg. Vom Phänomen Piratenpartei war die Rede und die etablierte Konkurrenz beeilte sich, zu verstehen, was es mit diesem »Liquid Feedback« auf sich habe. Hatte da nicht gerade jemand die Politik 2.0 erfunden? Keine Partei ist schneller aufgestiegen als die Piraten, keine Partei aber ist auch so brutal abgestürzt. Zwar folgte dem Berliner Coup der Einzug in drei weitere Landesparlamente, doch sind die Piraten im Mai 2013 frustrierter denn je. Vom Hoffnungsträger zum hoffnungslosen Fall in gerade einmal 20 Monaten. Während die Partei am Wochenende ihr Wahlprogramm beschließen will, hat ihr politischer Geschäftsführer in Schleswig-Holstein jüngst erklärt, dass es besser wäre, gar nicht zur Bundestagswahl anzutreten. »Uns fehlt die Kraft und die Motivation für den Wahlkampf«, gesteht auch Parteichef Bernd Schlömer. Die Liste der Enttäuschungen ist lang, die Liste der Enttäuschten auch. Einen Arbeitsrhythmus haben die Piraten auf Bundesebene nie gefunden. Wo Transparenz herrschen sollte, gab es Durcheinander. Statt um Inhalte wurde nur um Formalien gestritten. Hinzu kamen Neid, Häme und Missgunst auf allen Ebenen. Die Piraten versprachen nur stets, bessere Politik zu machen. Bewiesen haben sie es nie. Im Gegenteil haben sie die Vorurteile all derer erfüllt, die von vornherein skeptisch waren. Leider. Denn der Überzeugung, dass es sich lohnt, mehr Leute für die Politik zu interessieren und sie daran auch teilhaben zu lassen, kann kein Demokrat etwas entgegnen. Doch die Piraten haben die Mühen der Ebene gehörig unterschätzt. Sie beschäftigen sich noch immer lieber mit sich selbst als mit den Problemen der Menschen. Chronisch schlechte Umfragewerte sind die Quittung. Es war und ist ganz sicher nicht ihr Ziel, aber selbst im Scheitern könnten die Piraten eine wichtige Botschaft für uns Wähler bereithalten: Es ist leicht, bessere Politik zu fordern. Bessere Politik zu machen hingegen ist sehr schwer. Jedoch darf bezweifelt werden, dass dieser Lerneffekt tatsächlich einsetzt. Denn mit dem Absturz der Piraten ist der Respekt vor den etablierten Parteien keinesfalls gewachsen. Vielmehr bricht sich die Politikverdrossenheit längst in einer neuen Protestbewegung Bahn. Zwar hat die Alternative für Deutschland (AfD) nur wenig mit den Piraten gemein. Doch zeigt auch diese Neugründung, dass es um die Bindungskräfte der etablierten Parteien nicht zum Besten bestellt ist. Ihre Freude am möglichen Untergang der Piraten ist also vollkommen fehl am Platze, von bräsiger Selbstzufriedenheit ganz zu schweigen.
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