Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu den Protesten in Brasilien
Bielefeld (ots)
Wenn sich der Fifa-Boss Joseph Blatter da mal nicht irrt: »Wenn in Brasilien erst der Ball rollt, wird sich der Protest legen.« Die ersten Spiele sind beim Confederations Cup in Brasilien absolviert, und die Gruppe der Unzufriedenen im Land schwillt immer weiter an. Begonnen hatten die Protestzüge, weil in einigen Millionenmetropolen die Busfahrkarten um wenige Cent teurer wurden. Bis zur Fußballweltmeisterschaft sind es noch zwölf Monate, doch derzeit gehen im fünftgrößten Land der Welt Hunderttausende auf die Straßen. Die Massen glauben wohlklingenden Versprechungen ihrer Regierung und des Weltfußballverbandes Fifa nicht mehr. Auch die Armen der Welt haben ein Recht auf Vergnügen, aber sie dürfen dafür nicht noch über den Tisch gezogen werden. Im alten Rom wurden die Menschen mit Brot und Spielen ruhiggestellt. In Brasilien fehlt das Brot. Von den Milliardeninvestitionen in Sportstätten, neue U-Bahnen und Hotels bleibt beim einfachen Volk kaum etwas hängen. Im Gegenteil: In Rio de Janeiro wurden 150 000 Menschen aus ihren Behausungen vertrieben, weil für das neue Fußballstadion weitere Parkplätze gebraucht wurden. Zehntausende Straßenhändler verlieren ihre Existenz, weil die Fifa während der Weltmeisterschaft am Verkauf von Maskottchen und Fähnchen über die Lizenzvergabe mitverdienen will. Und das nicht zu knapp. Es ist vollkommen egal, in welchem Land sich die die weltbesten Kicker zu ihrem Wettstreit treffen. Es gibt immer den gleichen Gewinner: die Fifa. Im Namen des Sports zwingt der Verband die Veranstalter in Knebelverträgen, einen Teil ihrer Souveränität aufzugeben. Vor fast 190 Jahren hat sich Brasilien von der Kolonialmacht Portugal losgesagt. Einen Großteil der Macht hat im Vorfeld der Fußball-WM 2014 die Fifa übernommen. So gilt in den Stadien Brasiliens ein Alkoholverbot. Damit die Fifa- Partner am Bierverkauf ordentlich verdienen können, wurde diese Einschränkung für die Zeit der Spiele ausgesetzt. Mehr als 14 Milliarden Euro gibt Brasilien nur für die Fußball-WM aus. 2016 will das Land die Olympischen Spiele stemmen - mit weiteren Kosten in Milliardenhöhe. In den vergangenen neun Jahren wurde der Mindestlohn in Brasilien um 60 Prozent erhöht, die Preise aber sind stärker gestiegen. Die Währung verliert an Wert, Investoren verlassen das Land. Die Zinsen steigen, die Rating-Agenturen haben das Land angezählt - kein gutes Zeichen. Die Fifa zeigt sich davon unbeeindruckt. Sie kalkuliert für die kommende Weltmeisterschaft mit einem Milliardenüberschuss - netto. Denn auch das ist eine Bedingung des Sportverbands: Das ausrichtende Land muss dem Veranstalter und seinen Sponsoren Steuerfreiheit garantieren. Auch dagegen richtet sich die Wut vieler Brasilianer.
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