Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Ägypten
Bielefeld (ots)
Ganz gleich, was mit dem vom Militär abgesetzten Präsidenten Mohammed Mursi geschieht, Ägypten ist tief gespalten und wird es bleiben. Im Viertel Nasr demonstrierten die Muslimbrüder, auf dem Tahrir-Platz die Mursi-Gegner und da, wo die Gruppen aufeinanderstießen, gab es Tote und Verwundete. Fast zwei Dutzend Tote gab es allein in der Nacht vor dem Tag, an dem Ultimatum der Militärs auslief - und das ist nur ein Vorgeschmack dessen, was Ägypten erwartet. Denn die Muslimbrüder werden nie eine erneute Militärdiktatur akzeptieren, jetzt, da sie das Land doch schon in der Hand hatten. Aber sie hatten das Volk nicht in der Hand. Sicher, Mursi war legal gewählt worden. Nur: Die Beteiligung lag bei knapp fünfzig Prozent, seine Anhängerschaft beläuft sich auf ein Viertel der Wähler. Allein die Unterschriftensammlung gegen den Präsidenten brachte fast doppelt so viele aufs Papier. Der Aufstand der Straße in Kairo, Alexandrien oder Port Said richtete sich gegen die schleichende Einführung einer neuen Diktatur im Gewand des Islam, eine Diktatur die nicht Wohlstand sondern Not mit sich bringt. Aus dem Koran lässt sich eben keine moderne Wirtschaftsordnung ableiten, auch keine Demokratie und von den Öl-Milliarden aus Saudi-Arabien, die Mursis Regime am Leben hielten, sah das Volk nichts. Die Muslimbrüder wollten die Institutionen streng islamisch ausrichten. Sie wollten auch die Straße beherrschen, jene Straße, die vor zwei Jahren noch schrie: Nieder mit dem Militärregime! Heute heißt es: Volk und Armee zusammen! Das Volk hat kein Gedächtnis, wenn das Brot ausgeht und der Zucker für den Tee. Jetzt sehnt man sich nach einer Institution, die Ordnung schaffen kann, damit die Wirtschaft wieder läuft, die Touristen wiederkommen und Frauen nicht auf offener Straße vergewaltigt werden, nur weil sie keinen Tschador tragen. Es wird eine neue Militärdiktatur geben in Ägypten. Und es wird wieder Blut fließen. Demokratie hat es schwer in der Region. Die Krokodilstränen, die man jetzt in Washington, Brüssel und Berlin öffentlichkeitswirksam kullern lässt, werden schnell verdunsten. In Ägypten braucht man eine handlungsfähige, kompetente und pragmatische Regierung - das liegt übrigens auch im Interesse der ganzen Region. Ein Problem haben jetzt vor allem die Amerikaner. Obama hat für seine Politik im Vorderen Orient auf die Muslimbrüder gesetzt, weil deren Netz in allen Ländern relativ dicht geknüpft ist. Diese Politik, genannt Muslim Outreach (ausgestreckte Hand hin zu den Islamisten) ist in Kairo gescheitert. Da hätte er lieber auf die alten Mittelmächte in Europa hören sollen, statt sie abzuhören. Der US-Präsident wird umdenken müssen. Das erste Zeichen dafür wird sein, dass die Militärhilfe für die Generäle am Nil fortgesetzt wird. Realpolitik hat auch ihren Preis.
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