Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur transatlantischen Freihandelszone
Bielefeld (ots)
Fast wäre es schiefgegangen. Das ehrgeizige Projekt einer transatlantischen Freihandelszone (TTIP) drohte wegen der Schnüffelaffäre zu scheitern, bevor die eigentlichen Verhandlungen gestern beginnen konnten. Empörte Politiker forderten den Verzicht, mindestens aber die Verschiebung der Gespräche über die größte Freihandelszone der Welt, in der fast ein Drittel aller Waren und Dienstleistungen ausgetauscht werden. Die Wut angesichts der dreisten Bespitzelung durch den US-Geheimdienst NSA ist mehr als verständlich. Nur geholfen hätte es den Europäern nicht. Die dümpelnde Wirtschaft hier braucht die Wachstumsimpulse mehr als die der USA. Das transatlantische Freihandelsabkommen liegt im nationalen Interesse der EU-Mitgliedsstaaten. Laut einer Studie des »Center for Economic Policy Research« werden 80 Prozent des Wachstums vom Abbau sogenannter nicht-tarifärer Handelsschranken erwartet. Damit gemeint sind die Angleichung und wechselseitige Anerkennung von Standards. Nicht die eigentlichen Zölle, die im transatlantischen Handel mit im Schnitt 3,5 bis vier Prozent ohnehin kaum ins Gewicht fallen. Von einheitlichen Normen und Regeln profitierte vor allem der Mittelstand. Diese Unternehmen haben oft nicht die Ressourcen, ihre Produkte für den US-Markt nachzurüsten, anzupassen oder erneut zertifizieren zu lassen. Viele Geschäfte kommen dadurch gar nicht erst zustande. Bei Konzernen drücken die nicht-tarifären Handelshemmnisse auf die Margen. Die Autobauer verlieren Geld an aufwendige Nachrüstungen, die Pharmaindustrie leidet unter den kostspieligen Doppel-Zulassungen und der Baubranche sind die protektionistischen »Buy American«-Bestimmungen bei öffentlichen Ausschreibungen ein Dorn im Auge. Sich aus Protest gegen die Spitzeleien selber in den Finger zu schneiden, wäre weder eine kluge noch Erfolg versprechende Strategie. Stattdessen bieten die TTIP-Verhandlungen eine Plattform, die politische Krise um die Datenspionage zu therapieren. Handel beruht nicht minder auf Vertrauen wie internationale Diplomatie. Ein starkes Datenschutzabkommen muss oberste Priorität haben. Zugegebenermaßen macht es das nicht leichter, den ehrgeizigen Fahrplan umzusetzen, bis Ende 2014 handfeste Ergebnisse auf den Tisch zu legen. Schließlich gilt es auch, Lösungen für den Dauerstreit um Chemie-Hühnchen, Hormon-Rinder, Gen-Mais und die Kulturförderung zu finden. Zudem weiß niemand, ob es beim Tempo hilft oder bremst, dass erstmals zwei Wirtschaftsblöcke auf Augenhöhe miteinander verhandeln. In weiser Voraussicht haben beide Seiten das Mandat für die Verhandlungen weit gefasst. Das gibt den 150 Unterhändlern maximalen Spielraum für Kompromisse. Hoffentlich kann dieser genutzt werden - für freien und fairen Handel über den Atlantik, der auf dem Schutz vertraulicher Daten von Bürgern und Unternehmen gründet.
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