Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur Deutschen Bahn
Bielefeld (ots)
»Mänz bleibt Mänz« singen die Mainzer gern zur Fastnacht. Doch jetzt, zur Sommerzeit, heißt es stattdessen: Mainz ist bald überall. Die rheinland-pfälzische Landeshauptstadt ist zum Symbol dafür geworden, was bei der Deutschen Bahn alles schief läuft. Und mehr noch am Standort Deutschland: Was die Bahn derzeit in Mainz erlebt, werden wir bald sehr viel öfter auch mit anderen Unternehmen erleben. Dabei stand gerade die Netz-Tochter der Bahn noch bis vor kurzem nach außen gut da. Ein Großteil des Gewinns, den das Staatsunternehmen zuletzt eingefahren hat, stammte schließlich von ihr. Dass das Ergebnis mit einem Investitionsstau, mit verzögerter Modernisierung und mit Kürzungen beim Personal erkauft worden ist, wer denkt daran schon, so lange die Züge rollen? Und fuhren sie nicht, dann war es eben zu kalt, zu nass oder zu stürmisch. Oder der Wind hatte zu viel Herbstlaub auf die Gleise geweht. Pech für die Pressesprecher der Bahn, dass im August in Mainz kein Schnee liegt. Und dass Rhein und Main derzeit kein Hochwasser führen. So wird vor aller Welt sichtbar, wie dilettantisch der Konzern seine Personalplanung betreibt - so als ob die Ferienzeit ganz unerwartet hereingebrochen wäre. Klar, auch in anderen Unternehmen sind die Arbeitspläne in diesen Wochen etwas eng gestrickt. Doch kein guter Personalchef wird an den entscheidenden Stellen einen Totalausfall riskieren. Man müsste denn sonst, bevor man ein Paket auf die Reise schickt, beim Postunternehmen nachfragen, ob in der Verteilstelle auch die wichtigsten Stellen besetzt sind. Ober vor einer Autofahrt bei der Rettungswache, ob sie im Falle eines Unfalls noch handlungsfähig ist. Das Mainzer Bahnchaos macht deutlich: Es ist eben doch nicht jeder ganz einfach zu ersetzen. Jedenfalls nicht innerhalb von wenigen Tagen. Einige Industriebetriebe und Handwerksfirmen spüren das schon etwas länger. Für sie ist der vorhergesagte Fachkräftemangel keine negative Utopie, sondern erlebte Wirklichkeit. In Sonntagsreden sprechen fast alle Chefs davon, wie wichtig ein gutes Personal ist. Wer sich jedoch künftig nicht auch danach verhält, wird über kurz oder lang vom Markt bestraft. Dass Bahnchef Rüdiger Grube persönlich Stellwerker anruft, um sie möglicherweise dazu zu bringen, ihren Urlaub abzubrechen, zeigt, dass er das Problem jetzt ernst nimmt. Doch um es zu lösen, sind andere Maßnahmen erforderlich. Dafür sind auch die Politiker gefordert - allerdings ganz anders, als es der FDP-Spitzenkandidat Rainer Brüderle gerade kundgetan hat. Privatisierung macht gerade beim Schienennetz keinen Sinn. Es ist ein Teil der Infrastruktur und darum für das Funktionieren des Standorts Deutschlands zu wichtig, als dass man es für kurzfristige Gewinne vernachlässigen dürfte. Bisher scheiterte die Herauslösung des Netzes immer am Widerstand des Bahnvorstands. Das Chaos in Mainz sollte groß genug sein, damit alle Beteiligten noch einmal über eine Veränderung nachdenken.
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