Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zur SPD-Mitgliederbefragung
Bielefeld (ots)
Die 470 000-fache Drohung, mit der die SPD auf die CDU/CSU zugeht, klingt so: »Über die Ergebnisse möglicher Koalitionsverhandlungen wird ein verbindliches Mitgliedervotum eingeholt, an dem alle Mitglieder beteiligt werden.« Dabei ist noch unklar, ob dieses »Votum«, das nun nicht mehr »Entscheid« genannt wird, in den Ortsvereinen eingeholt wird - unter Kontrolle der Nachbargenossen. Oder ob, wie SPD-Mitglied Wolf von Lojewski Sonntag bei »Günther Jauch« seinen Wunsch skizzierte, jedes Mitglied einen Brief nach Hause bekommt und mit sich ausmachen kann, was am besten für Land und Partei wäre. Druck auf die Union werden beide Verfahren ausüben. Warum? Vordergründig verhält es sich doch so: Wer mag, soll diese SPD-Idee als basisdemokratischen Gewinn feiern. Wer Gabriel und Co. weniger schätzt, soll die Befragung als Ausweis von Führungsschwäche deuten. Bei den am Freitag beginnenden Sondierungsgesprächen und noch mehr bei eventuellen schwarz-roten Koalitionsverhandlungen eröffnet die Urabstimmmung für die sozialdemokratische Delegation aber zunächst einmal eine Hintertür. Die Unterhändler können sich mit Verweis auf ihre unberechenbare Basis einem dem Wahlergebnis gemäßen Kompromiss mit der Union verweigern und einen Sicherheitsnachschlag fordern. Nach dem Motto: »Ihr wisst ja, unsere Leute, für die brauchen wir einen Prestigeerfolg zusätzlich!« Also vielleicht mehr Programminhalte, mehr Ministerposten, mehr wovon auch immer. Die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner hat diese Gefahr richtig erkannt. Über »Welt am Sonntag« und ebenfalls bei Jauch versuchte sie, diese SPD-Waffe stumpf zu machen. »Trickserei« nannte sie das Verfahren: »Erst mal lange verhandeln lassen und sich dann hinter den Mitgliedern verstecken - davor kann man die SPD-Parteispitze nur warnen.« Warnen mag die CDU-Oppositionsführerin im rheinland-pfälzischen Landtag, ob sie den Abwägungsprozess von SPD-Parteichef Sigmar Gabriel und Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier aber beeinflussen wird, ist ungewiss. Denn die Führungskräfte der SPD scheinen zum Pokern entschlossen. Dabei setzen sie mit dem Mitgliedervotum auch ihre politische Zukunft aufs Spiel. Ein Verhandlungsergebnis, das von der SPD-Basis gekippt wird, wäre ein Misstrauensbeweis gegenüber der Spitze von Partei und Fraktion. Gabriel und Steinmeier nähmen die Oppositionsarbeit - wenn überhaupt noch - beschädigt auf. Es ist verständlich, dass die SPD mit einem Trumpf in die Gespräche gehen will, aber für das Zustandekommen eines Koalitionsvertrages notwendig ist die Mitgliederbefragung nicht. Die Delegierten sind von Parteigremien gewählt sowie mit Vertrauen und Kompetenzen ausgestattet worden. Sie müssten sich nicht rückversichern. Wenn sie es trotzdem tun, dann weil es ihnen nützen soll.
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