Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Kießlings Phantomtor
Bielefeld (ots)
Dem Richter gefällt das Urteil nicht, dem Justitiar des Deutschen Fußball-Bundes auch nicht, 1899 Hoffenheim sowieso nicht. Und auch Leverkusens Sportdirektor Rudi Völler ist nicht ganz wohl in seiner Fußballer-Haut. Dennoch bleibt es dabei: Stefan Kießlings Phantomtor ist jetzt ein richtiges. Mit DFB-Siegel.
Berufen haben sich die Entscheider gestern auf die sogenannte Tatsachenentscheidung. Verkürzt ausgedrückt: Was ein Schiedsrichter entscheidet, ist immer richtig. Gut, wenn hinter dessen Rücken zum Beispiel ein Spieler von einem anderen bespuckt wird und Fernsehbilder das beweisen, dann darf nachträglich noch eine Strafe ausgesprochen werden. Aber bei einem gegebenen Tor geht das nicht. Das verstehe, wer will.
Nun ist es ohne Frage gut, dass Regeln auch vom weltgrößten Sportverband angewendet werden. Doch zum einen hatte der DFB im Fall Helmer/München/Nürnberg schon einmal eine Ausnahme gemacht. Und zum anderen: Ist es dem größten Fußballverband der Welt verboten, offensichtlich unsinnige Regelungen zu ignorieren oder auf ihre Änderung zu drängen?
Die Herren vom Weltverband Fifa berufen sich gerne auf die Tradition des Fußballs und seine Universalität. In Tahiti müsse nach den gleichen Regeln gespielt werden können wie in England, Spanien oder Deutschland. Nun findet aber, um beim Beispiel zu bleiben, der Fußball in Tahiti in einem ganz anderen Umfeld statt als in Deutschland. In der Bundesliga, der 2. Bundesliga und der 3. Liga gibt es bei jeder Partie TV-Kameras. Warum werden die Bilder in strittigen Fällen nicht genutzt?
Jahrelang haben die Fifa-Granden sich doch auch gegen die Einführung einer Torlinientechnologie gewehrt. Im nächsten Jahr wird es bei der Weltmeisterschaft in Brasilien vermutlich keine Phantomtore geben. Deutscher Technik aus Würselen sei dank.
Und dann ist da noch das Argument, die Auswertung von TV-Bildern würde den Charakter des Spiels verändern. Also, wenn der Charakter des Fußballs so instabil ist, dass er möglicherweise ein oder zwei Mal im Jahr in solch eklatanten Fällen wie dem Phantomtor von Stefan Kießling eine Unterbrechung von ein oder zwei Mal drei Minuten nicht verkraftet, dann hat der Fußball ein echtes Problem.
In anderen Sportarten wird es längst selbstverständlich praktiziert. Im Eishockey, im Hockey. Kugelstoßer David Storl gewann bei der WM 2013 Gold, weil ein Fotograf einen angeblich ungültigen Versuch abgelichtet hatte und dessen Bilder bewiesen, dem war nicht so. Und im Tennis sind die Hawkeyebilder mittlerweile ein von den Fans gern gesehenes Element.
Mit dem gestrigen Urteil hat der DFB dem Fußball keinen Gefallen getan - vor allem nicht der Fairness. Denn welcher Spieler wird jetzt noch sagen: Hey, Schiedsrichter, mein Ball war nicht drin!
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